Vortrag
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Kleists Narzissmus

Die kleine Szene im Bad zeigt die narzisstische Störung des jungen Mannes sehr deutlich. Er kann nicht im naiven Genuss der eigenen Schönheit verweilen, sondern wird durch den leisen Spott des anwesenden Erzählers so unsicher, dass er die Stabilität seines Selbstgefühls verliert und dekompensiert. Er kann die entstehende Kränkungswut nicht gegen den Spötter richten, sondern wendet sie depressiv gegen sich selbst. Kleist selbst beobachtet diese Szene nur scheinbar von aussen. In Wahrheit ist er ebenfalls betroffen, er ist nicht nur der Spötter, er ist auch das Opfer, das an die eigene Schönheit nicht glauben kann und die erreichte Annäherung an ein Ideal durch Pefektionismus wieder auslöscht.
Je ausgeprägter die frühen Verletzungen eines Menschen sind, desto mehr wachsen auch die Ansprüche an Sicherheit und die Affekte von Angst und Wut bzw. Depression (sozusagen implodierter narzisstischer Wut). Je mehr an Selbstverwirklichung gewagt wird, desto bedrohlicher wird das Leben, wenn sich ein Ich dem Perfektionismus unterworfen hat. Daher machen sich schwere narzisstische Störungen bevorzugt dann durch Symptome bemerkbar, wenn die lebensgeschichtliche Aufgabe den Abbau von Grössenvorstellungen enthält.
Das geschieht in der Adoleszenz, wenn Sexualität riskiert oder ein Beruf ausgewählt und damit viele andere interessante Möglichkeiten aufgegeben werden müssen. Eine andere Risikosituation sind die feste Bindung, die gemeinsame Wohnung, die Schwangerschaft. Sie legen auf eine Beziehung fest und erzwingen die Auseinandersetzung mit Mängeln des Partners und eigenen Unsicherheiten.
Das frühe Selbstgefühl hat etwas Pflanzliches. Unfähig, sich zielgerichtet zu bewegen, kann der Säugling nur hoffen, dass die Umstände ihm günstig sind. Mit der Beweglichkeit kommt auch der Vergleich in das Leben des Kindes. Es kann beobachten, wie andere das gewinnen, was zur Angstminderung beiträgt, was Sicherheit verspricht. So entsteht die Rivalität. Wenn ich der bessere bin, wenn ich zuerst etwas bekomme, wenn ich andere übertreffe, kann ich mich sicherer fühlen, kann meine Ängste in Schach halten. Ich vermag es, mehr Kraft und Aktivität zwischen mich und einen potenziellen Angreifer zu bringen.

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