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Die Illusionen der Protestwähler

Durch (An)Klage in eine bessere Welt?

leicht gekürzt erschienen in der WamS vom 25.02.24

Die Zeit 06/2024 beschreibt fast liebevoll (Autorin: Elisabeth Raether) einen Berliner Anwalt und Steuerberater, der ankündigt, im Herbst AfD zu wählen und das auf folgende Weise begründet: In Deutschland funktionieren viele Dinge schlecht, die aktuell tätigen Politiker sind unfähig, eine Stimme für die AfD wird ihnen eine Lehre sein, sich mehr anzustrengen. Seine Frau, Zahnärztin, hat in spontaner Wut AfD gewählt, als sie wegen des eklatanten Versagens der Wahlbehörde in Berlin stundenlang Schlange stehen musste, um ihre Stimme abzugeben.

Weder der Steuerberater noch seine Frau gehören zu den Abgehängten und Fremdenfeinden, die manchmal mit den Stimmen für die AfD verknüpft werden. Sie wollen auch nicht, dass die AfD eine Diktatur errichtet, es ist ihnen sogar klar, dass die Politiker dieser Partei gewiss nicht fähiger sind als die etablierten Politiker, deren handwerkliche Fehler sie ärgern. Sie hoffen nur, dass ihre Stimme gegen die „Systemparteien“ diese dazu veranlassen wird, bessere Arbeit zu leisten.

Hinter den vorgebrachten Argumenten steht die Überzeugung, dass sich Menschen durch Vorwürfe „bessern“, also mehr von einem erwünschten Verhalten zeigen. Diese Erwartung der  Protestwähler hat mich beeindruckt, weil ich in meiner Arbeit als Paartherapeut häufig damit beschäftigt bin, Menschen klarzumachen, dass Vorwürfe nicht nur nicht funktionieren. Sie verstärken im Gegenteil das Problem, zu dessen Lösung sie angetreten sind. Ich sage etwa: Wenn Sie ihrem Mann Vorwürfe machen, dass er zu viel arbeitet, wird er noch mehr arbeiten. In seiner Arbeit hat er Erfolgserlebnisse, zuhause nicht. Wenn Sie ihrem Kind sagen, dass das Nachbarskind fleißiger ist und bessere Noten hat, werden seine Noten schlechter.

Vorwürfe sind der erste Einfall angesichts einer Person, die uns enttäuscht, weil wir von ihr Besseres erwartet hätten. Unsere Erwartung ist in Ordnung, sie orientiert sich an dem, was ich in der Situation meines Gegenübers selbstverständlich leisten würde. Nicht in Ordnung ist der oder die Andere. Sie haben versprochen zu funktionieren und haben versagt.

Vorwürfe sind so impulsiv, dass wir in der Regel erst nach dem sogleich in Gedanken vollzogenen Vorwurf überlegen, ob und wie wir ihn äußern. Nicht selten drückt die Äußerung selbst diesen Konflikt aus: Es soll jetzt kein Vorwurf sein, oder nicht, dass ich dir das vorwerfen möchte, sind geläufige Redewendungen. 

Vorwurfsvolle Positionen werden verkleidet (ist nur eine Feststellung, kein Vorwurf) und verleugnet. Sie lassen sich aber schwer vermeiden. Das liegt daran, dass sich ein Mensch, der einem anderen einen Vorwurf macht, im Recht fühlt. Er klagt einen Anspruch ein, dessen Erfüllung die Welt zu einem besseren Ort machen würde.  Er fühlt sich im Besitz eines überlegenen Urteilsvermögens. Selbst wenn er ahnt, dass er auf diesem Weg nicht weiter kommt, fällt es ihm schwer, sich zu stoppen. Er fühlt sich nicht in der Lage, das Vorwurfsverhalten einzustellen, obwohl es keine Früchte trägt. Es gelingt ihm nicht, den eigenen Ärger zu verstehen und herauszufinden, was er tun kann, um seine Situation wirklich zu verbessern. Er findet es unzumutbar, Wut und Enttäuschung zurückzustellen, erlebt es als Erniedrigung und falsche Anpassung, seine Anklagen zu beenden und die Rolle des Opfers fremden Versagens aufzugeben.  

Vorwürfe weichen kritischen Einwänden so wenig wie der Einsicht über den angerichteten Schaden. Das spricht für ihre dem bewussten Erleben wenig zugängliche Wurzel in der Regression auf primitive Seelenzustände. In der sprachlosen Kindheit erfüllt eine Bezugsperson tatsächlich unsere Wünsche, wenn wir nur laut genug unser Missfallen ausdrücken. Das Baby schreit, wenn es Durst hat, eine Kolik, eine nasse Windel. Damals wurde unser Zustand tatsächlich gebessert, wenn wir unser Missfallen mit ihm ausdrückten..

Es ist zunächst nicht einfach zu verstehen, was diese menschliche Ursituation mit den Vorwurfshaltungen zu tun hat, die in der politischen Debatte um sich greifen. Der Gedanke, eine Partei zu wählen, um den mit Realpolitik beschäftigten Parteien einen Schubs zu versetzen, Druck zu machen, dass sich die mit dem Regierungsgeschäft Beauftragten mehr anstrengen, gleicht einem Projekt aus trivialen Romanen: wenn ich den X eifersüchtig mache, indem ich mit dem Y flirte, dann wird sich X mehr um mich bemühen.

Dass wir einen Anspruch auf ein unsere Bedürfnisse befriedigendes Wesen haben und es finden werden, indem wir Frust, Hass und Unzufriedenheit schonungslos ausdrücken, befeuert die Dynamik der Protestparteien. Die positiven Ziele sind diffus und oft sehr widersprüchlich – Trump will Amerika wieder zur großen Wirtschaftsmacht machen, –  mit kleinlichen, dysfunktionalen  Mitteln wie Mauerbau und Importzinsen. Die AfD weiß nicht einmal, ob sie das Abendland retten will oder nur Deutschland. Konkret, vielfältig, originell und dynamisch sind das Geschimpfe, die Häme, der Hass. Protestwähler orientieren sich an dem Mythos der Homöopathie: Wenn ich dem Kranken ein Gift gebe, das die Symptome seiner Krankheit verstärkt, wird er gesund.

Sie wollen nicht wahrhaben, dass es ihre Traum-Politiker nicht gibt. Sie gleichen der Prinzessin, die den Frosch an die Wand wirft und sich dann wundert, dass sie keinen Prinzen bekommt, sondern einen beschädigten Frosch. Vorwürfe verschlechtern den Zustand einer Beziehung. Die Beobachtungen aus der Familientherapie laufen darauf hinaus, dass nicht nur Kinder oder Partner, denen Versagen vorgeworfen wird, künftig schlechter funktionieren, sondern auch die Personen, die selbstgerecht und empathiefrei andere schlecht gemacht haben. Vorwürfe sind, wie der Populismus, kannibalische Veranstaltungen. Indem ich entwerte, was mir nahe steht, entwerte ich mich selbst. Es sind meine Kinder, meine Eltern, meine Partner, in und mit ihnen mache ich auch mich selbst schlecht und werde noch furioser wüten, sobald ich den drohenden Zusammenbruch des Manövers erahne. Der AfD scheint nicht im Geringsten bewusst zu sein, dass sie in ihrem Streben, Gutes für Deutschland zu erreichen, zwei Drittel der Deutschen mit Spott und Häme überzieht.

Noch eine letzte Beobachtung aus der Paaranalyse lässt sich auf die politische Dimension anwenden: Wenn zwei Personen aufeinander treffen, von denen eine bisher abwägend und konstruktiv mit ihren Beziehungen umgegangen ist, sollten wir nicht erwarten, dass sie ein Gegenüber, das angesichts einer Enttäuschung vorwurfvoll wütet, zur Besinnung bringen wird. Wo einer primitiv und gierig wird, fühlt sich der sonst Besonnene im Nachteil, wenn er nicht mit gleichen Waffen zurückschlägt. Die Trump’sche Verelendung der republikanischen Partei hat die Demokraten gewiss nicht besser oder stärker gemacht. Es gibt Studien, wonach die Gesprächskultur im deutschen Parlament nicht nur durch die Ausfälle der AfD, sondern auch durch eine Art Ansteckung der anderen Parteien erheblich gelitten hat. Psychologisch ist das zu erwarten: Da wir alle die Fähigkeit zum Hass in uns tragen und es uns Mühe kostet, ihr zu widerstehen, ergibt sich schnell eine Situation, in der nicht der Differenzierte und Empathische den Gegner auf seine Stufe hebt, sondern beide einander überzeugen, sie könnten bessere Menschen schaffen, indem sie die realen entwerten.

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