Alle Artikel mit dem Schlagwort: Trauma
Vieldeutige Rituale
Dieser Artikel ist in einer etwas längeren Version im November 2012 in „Psychologie heute“ erschienen.
Bei vielen afrikanischen Völkern ist oder war eine Beschneidung der Mädchen üblich. Ihnen wurden von älteren Frauen Klitoris und Schamlippen amputiert. Bei den Massai werden Männer wie Frauen beschnitten; damit endet auch eine Zeit der freien Sexualität, die den unbeschnittenen, noch nicht menstruierenden Mädchen erlaubt ist. Genitalverstümmelungen bei Frauen gehen in manchen Gruppen noch erheblich weiter. Die Scheide wird zugenäht (Infibulation), nur der Ehemann hat das Recht, dieses Hindernis zu beseitigen.
Die rituellen Genitaloperationen gehören in den betreffenden Kulturen zur sozialen Regulation der Sexualität. Dem [...] → weiterlesen.
Der Wirt Butterblume
Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf scheinbar „gleiche“ seelische Belastungen. Sexueller Missbrauch führt einmal in ein von Angst und Scham gezeichnetes Leben, ein anderes Mal scheint er eine normale Entwicklung nicht zu beeinträchtigen. Ein Opfer wird von quälenden Erinnerungen heimgesucht und findet nie in ein normales Familienleben, ein anderes entwickelt sich unbeeinträchtigt und erinnert sich erst an das Trauma, als es darüber in der Zeitung liest – ach ja, ich war auch einmal in diesem Internat, diesen Erzieher kenne ich, der ist auch zu mir ins Bett gekommen, widerlich das, ich hatte es vergessen!
Angesichts einer körperlichen Verletzung orientiert sich der [...] → weiterlesen.
Harmlos ist die Beschneidung nicht
Erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 3.7.2012
Das Kölner Landgericht hat mit klarer Logik die Beschneidung als das definiert, was sie ist: Körperverletzung, nur dann rechtlich unbedenklich, wenn sie von einem mündigen Individuum in freier Entscheidung gewollt wird. Dagegen argumentieren die Vertreter des Brauchtums – wie auch Mathias Drobinski in der SZ – damit, dass Beschneidung „dem Wohl des Kindes“ diene und Männer ohne Vorhaut gerade so gut leben wie mit ihr.
Hier wird eine breite wissenschaftliche Literatur ignoriert, welche die Bedenkenlosigkeit sehr in Frage stellt, mit der vor allem in den USA Männer aus „hygienischen“ Gründen als Säuglinge beschnitten [...] → weiterlesen.
Kann keine Trauer sein
Grossvater war im Krieg
Erschienen in: Stuttgarter Zeitung, Dezember 2008Neulich las ich in dem Bericht einer Tageszeitung über eine Schiesserei in einer Fussgängerzone. Der Text zeichnete ein Bild von Gewalt und Blutvergießen an einem sonnigen Nachmittag. Das Rote Kreuz habe nach dem Ereignis ein Zelt aufgebaut, in dem sich die seelisch traumatisierten Passanten von geschulten Therapeuten helfen lassen konnten. Mir schien das lächerlich, wehleidige Fußgänger und Helfer, die Selbstmitleid fördern! Sobald ich über meine spontane Reaktion nachdachte - schließlich bin ich selbst Therapeut und es steht mir nicht zu, mich über Kollegen zu erheben - kam mir in den Sinn, wie zeitgebunden unser Gefühl für seelische Traumatisierungen ist. Ich bin 1941 geboren, erinnere mich noch an Bombenangriffe, wuchs in einer Welt von Soldatengeschichten auf und habe als kleines Kind den Soldatentod meines Vaters ohne bewusste Trauer hingenommen. So war es auch mir eigentlich selbstverständlich, mich nicht der "wehleidigen" Beschäftigung mit den Traumen des Krieges hinzugeben.
Er hat nie darüber geredet
Unsere Traumatisierten
Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble: Inwieweit bestimmen posttraumatische Reaktionen politische Entwicklungen?
Erbittert von Wolfgang Schäubles Vorschlägen zum Umbau des Rechtsstaates in eine Terrorbekämpfungsmaschinerie griff der Münchner Ex-Staatsanwalt und Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung Herbert Prantl zur Psychologie. „Seit dem Attentat vom 12. Oktober 1990 ist er an den Rollstuhl gefesselt. Wer jeden Tag die eigene körperliche Schwäche erlebt und sie zu überwinden versucht, der erträgt wohl die echten oder vermeintlichen Schwächen der Kollegen, aber auch die echten oder vermeintlichen Schwächen des Staates noch weniger als früher.“
Das Argument schlug Wellen. Die Bildzeitung sprach von einem „schweren Schreibunfall“. Schäuble selbst erklärte, „Es [...] → weiterlesen.