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Das Trauma des Verführers

Nicht nur Gewalt verletzt den Sexualpartner, sondern auch Treulosigkeit. Der bis zur Gewaltbereitschaft eifersüchtige Mann fasziniert manche Frauen, weil sie seine Leidenschaft für ein absolutes Treueversprechen nehmen. Der nach Frauengunst süchtige womanizer der amerikanischen Trivialliteratur kränkt, ähnlich seinem Vorbild Don Juan, die Sehnsucht nach Stabilität und Verläßlichkeit. So sind Erklärungen gefragt, welche dieses Verhalten verständlicher machen und seine sadistischen Züge abschwächen.
Ein aktuelles Beispiel: Hillary Clinton brach Ende Juli 1999 ihr Schweigen über die Affären des damaligen Präsidenten der USA und erklärte, Bill Clinton sei als Kind im Alter von vier Jahren von seiner Mutter und Großmutter mißbraucht worden. Die beiden Frauen hätten den kleinen Bill in ihren Streit hineingezogen und an ihn Forderungen gestellt, die nur ein Mann erfüllen könne, an denen ein Kind aber scheitern müsse. Diese seelische Verletzung, so Hillary Clinton, habe dazu geführt, daß der spätere Präsident Frauen nicht „widerstehen“ kann; er tut alles für sie, will es ihnen recht machen, ihre Bedürfnisse erfüllen, auch wenn er dadurch in Teufels Küche gerät.
Entspricht eine solche Vermutung dem Stand der Wissenschaft? Unmöglich ist ein solcher Zusammenhang nicht, aber Hillary ist Partei und verfolgt eigene Interessen. Sie will sich selbst aus der Diskussion bringen; dazu sind die vielfältigen Trivialisierungen der Psychoanalyse nützlich. Tatsächlich läßt sich der männliche Donjuanismus oft mit einer latent sadistischen Mutter verknüpfen, in der ein Sohn mit allen Mitteln festgehalten und lange vor seiner Pubertät wie ein erwachsener Mann behandelt wurde. Der Sohn fühlte sich oft fallen gelassen, entwertet und beschämt, weil er den Mann an der Seite der Mutter nicht ersetzen konnte. So geht er jetzt mit den Frauen um. Er hält sie fest und erobert sie. Dann läßt er sie fallen. Jetzt sind sie beschämt und entwertet, wie er es als Knabe war, der die Mutter nicht „halten“ konnte.
Hillarys Theorie ist naiv; nach ihr kopiert und sexualisiert der erwachsene Bill ein Verhalten, das er als Vierjähriger gelernt hat. Er meint es nur gut und will nur lieb sein. In der Realität findet sich im Donjuanismus immer eine aggressive Strömung; hier ist die Literatur, in der Don Giovanni so häufig auch ein Totschläger ist, einsichtiger als die Familienpsychologie, mit der Hillary Clinton operiert.
Der Sohn empfindet eine heftige, aber unterdrückte Aggression gegen eine Mutter, die ihn zur Frühreife zwingt. Er fühlt sich nicht geborgen, sondern bald durch Zuwendung überfordert, bald durch Kränkungen verletzt. Diese gehen oft von der Mutter aus, die neben dem Zuckerbrot, der Sohn sei ein viel besserer Mann als der Vater, auch die Peitsche liegen hat, er sei entweder kein Mann oder nicht besser als alle Männer – ein Schwein, ein übler Bursche, ein Versager.

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