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Kleists Narzissmus

Das passive Selbstgefühl ist leicht zu sättigen. Ruhe und Versorgung mit Luft, Wasser und Ernährung reichen aus. Das aktive Selbstgefühl wirkt rastlos. Kann ein Mensch genug siegen, seine Überlegenheit beweisen, erobern?  Er versucht es, bis ihn die Kräfte verlassen oder Misserfolge zurückwerfen.
Das passive Selbstgefühl hängt mit dem idealisierten Objekt zusammen – mit der spendenden Mutter, die alles geben kann, was das Baby braucht. Das aktive Selbstgefühl hingegen wird von der Grössenphantasie getragen, der Vorstellung, dass nichts unmöglich ist und kein anderes Ich das eigene übertrifft. Dieses aktive Selbstgefühl liegt im passiven wie der Keim in der Schale; es tritt das Erbe des zunächst als gross und allmächtig erlebten mütterlichen Selbst-Objekts an. Da in der Periode des passiven Selbstgefühls Ich und Nicht-Ich ineinander übergehen und ein symbiotischer Zustand dominiert, gehört die Omnipotenz zu dieser magischen Einheit. Sie gleich den mächtigen Kugelwesen im platonischen Mythos von der Entstehung des Eros . Wenn sich das Kind von der Mutter löst und beschliesst, die Welt zu erobern, muss es ein Stück Grössenphantasie mitnehmen, um den Mut nicht zu verlieren. Das Kinderlied von Hänschen klein, das Stock und Hut des Vaters usurpiert, beleuchtet diese Szene und ihre typischen Krisen. Im Lied kehrt Hänschen zurück, weil die Mutter weint. In der Realität kehrt das Kind zurück, wenn es verletzt oder geängstigt wird und nun feststellt, dass es sich zu weit vom Selbstobjekt entfernt hat.
Im seelischen „Normalzustand“ ergänzen sich passive und aktive Faktoren im Selbstgefühl. Der Mensch lebt in Bindungen zu Angehörigen und Freunden, er verwicklicht sich in Leistungen. Er kann in beiden Bereichen die Phantasie aufrechterhalten, dass er gut genug ist.
Oft untergraben ein Selbstobjektverlust (Ablösung von den Eltern) und ein Scheitern in den Ansprüchen des aktiven Selbstgefühls (Eroberung eines Sexualpartners, Bewältigung einer beruflichen Aufgabe) mit vereinten Kräften das Selbstgefühl. Im Folgenden soll untersucht werden, in wie fern diese Gesichtspunkt auf die Lebensgeschichte und Persönlichkeitsdynamik von Kleist anwendbar sind.
Wie alle Aussagen über einen Menschen, kann auch die psychoanalytische nur einen Teil der Realität abbilden; bei einem grossen Dichter ist dieser sogar der weniger wesentliche. Das möchte ich

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