Vortrag
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Kleists Narzissmus

So schreibt Kleist in einem Brief an Rühle.
Dank seiner glänzenden Intelligenz konnte Kleist den Mangel an einfühlender Spiegelung während seiner frühen Kindheit und die traumatische Störung in seinem passiven Selbstgefühl immer wieder kompensieren. Er schuf sich selbst Übergangsobjekte, Rollen und Szenen, in denen er seine innere Unruhe durch Visionen einer paradiesischen Situation, durch Humor und Ironie, durch die dramatische Darstellung der eigenen Konflikte ausgleichen konnte.
Seine gesteigerte Sensibilität machte ihn zu einer Art Seismograph der Brüche in einer heraufziehenden bürgerlichen Gesellschaft. Kleist hat die Erschütterungen des menschlichen Erlebens durch den Untergang der feudalen Welt vielleicht schärfer empfunden, jedenfalls aber drastischer dargestellt als seine Zeitgenossen.
Das jähe, manchmal selbstzerstörerische Kippen von der Idealisierung in die Entwertung, das bewunderte und schwärmerisch geliebte Personen ebenso treffen kann wie künstlerische Werke oder politische Systeme, ist eines der typischen Zeichen einer narzisstisch gestörten Persönlichkeit. Die Ansprüche sind immens, die Kränkbarkeit ist hoch, die (Selbst)Entwertung setzt so schnell ein, dass Projekte oft nicht reifen können. Das Scheitern eines Projekts wird nicht durch Einsicht und Mässigung verarbeitet, sondern durch einen noch höheren, noch mehr übersteigerten Anspruch.
Die Geschichte von Michael Kohlhaas zeigt, wie genau Kleist das beobachtet hat und wie es ihm auch manchmal gelang, diese Neigung zur überschiessenden Reaktion auf eine Kränkung zu reflektieren. In dem Entschluss von Kohlhaas, die aufgebotene Aggression am Ende gegen sich selbst zu richten, zeigt sich auch Kleists persönliche Nähe zu dem Rosstäuscher.
Das Männerbild der kleist’schen Familie ist der preussische Offizier. Gezählt wurden 34 Generäle, von denen 31 den Orden pour le mérite erwarben. Es war deshalb klar, welche Laufbahn Heinrich von Kleist zugedacht war. Die Witwe wandte sich nach dem Tod des Vaters (1788) an den König mit der Bitte, ihren erst 10jährigen Sohn Heinrich in die Militärakademie aufzunehmen. Als das Gesuch abgelehnt wurde, blieb der Zehnjährige in Berlin und erhielt Unterricht in einer Privatschule. Er verlor nicht nur den Vater, sondern auch die ganze bisherige Geborgenheit. 1792 trat er als Kadett in ein

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