Aufsaetze
Schreibe einen Kommentar

Verkehrsunfall im Jemen

Als sich die Schnauze des Toyota in die Böschung bohrte, flog die Fahrertür auf. Mohammed wurde herausgeschleudert, und vielleicht gleichzeitig mit ihm, nur Augenblicke später, auch U. Sie ist die Zierlichste von uns, die Barriere der Rücksitze war an ihrem Platz weniger wirksam. So prallten der Fahrer und sie ungeschützt, mit kaum gebremstem Reisetempo, auf die felsige Böschung.

Wir anderen überschlugen uns noch zweimal. R. ist ein Hühne. Er konnte sich auf der Rückbank halten, prellte sich den Brustkorb, hatte ein blutunterlaufenes Auge und Nasenbluten. G. wurde in den Kofferraum geschleudert; sie hatte das Gefühl, unter der Last des auf sie stürzenden Gepäcks zu ersticken. Sie wirkte am wenigsten beschädigt – kein Tropfen Blut, ein vom Staub überpudertes Gesicht – klagte aber über Schmerzen im Knie.

Was wäre gewesen, wenn?

Der Historiker nennt diese Frage unzulässig. Sie verleitet zu Spekulation. Sie regt die Phantasie an. Wenn ich mich nicht angeschnallt hätte – ich könnte tot sein, blind, gelähmt.
Wenn die schlichte Gurtpflicht sich auch im Jemen durchgesetzt hätte? In Ägypten ist das, so erzählte uns später Y., seit zwei Jahren Gesetz. Wenn wenigstens ein Reisebüro, das mit dem Summit Club des Alpenvereins zusammenarbeitet und Trekkingtouren organisiert – wenn also unser Reisebüro diese schlichte Vorsichtsmassnahme getroffen hätte, dann wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit Mohammed Abdullah nicht querschnittsgelähmt, wären G. und R und U. mit ein paar blauen Flecken davongekommen.
Wenn ich rechtzeitig Mohammeds Handy geborgen hätte?
Dann wäre gar nichts passiert.
Heilige Schriften auf Medaillons oder Wimpeln, die vom Rückspiegel baumeln, sind im Jemen so beliebt, wie Sicherheitsgurte unbeliebt. Noch nie hatte ich erlebt, dass sich ein Fahrer angurtete. Als ich mit Said fuhr und mich angurten wollte, entdeckte ich, dass der Platz, wo sonst das Gurtschloss liegt, von seiner Kalaschnikow besetzt war.
Ich selbst gurte mich an, seit ich den Führerschein habe, das sind jetzt rund vierzig Jahre. Nie habe ich diese Geste gebraucht, nie hat die Vorsichtsmassnahme mir etwas genützt, sie hätte sicher dreitausendmal gerade so gut unterbleiben können – ausser dieses Mal. Oder, wie R. zu sagen pflegt: Vorsicht heisst, viele überflüssige Dinge zu tun.
Auch die Airbags, Seitenairbags, Hintenairbags, Gurtstraffer, dieses meist das ganze Autoleben sinnlose Zubehör kann ich jetzt nicht mehr belächeln wie früher.
Eine solide Kiste ist der Landcruiser jedenfalls. Das Dach war zerbeult, die Streben gestaucht, aber nicht eingedrückt. Mohammed Abdullahs Türschloss war nicht ganz in Ordnung. Manchmal klemmte es, er musste die Fahrertür von innen öffnen. Diesmal war es zu schnell aufgegangen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert