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Verkehrsunfall im Jemen

Jetzt flog der Hubschrauber über Kathterrassen und bewässerte Gärten; die Strassen waren breiter, unter die Gehöfte mischten sich Wohnhäuser mit Innenhöfen und frisch gekalkte Kuppeln von Moschee-Neubauten. Das Rollfeld, ein Hangar; hier standen auch andere Hubschrauber. Bei einem waren zwei Männer damit beschäftigt, am Ansatz des Rotors zu schrauben. Wir setzten auf und rollten zu einer Parkposition. Das infernalische Geheul verwandelte sich in ein Brummen, der Schatten des Rotors wurde sichtbar. Stille. Durch das Bullauge erkannte ich zwei Kleinbusse.
Die Ambulanz trug die Aufschrift „German Hospital Sana’a“; U. wurde hineingehoben, ein deutscher Arzt beaufsichtigte die Prozedur. Er war Neurochirurg, kam aus einem Ort in Oberbayern, hatte als Oberarzt Probleme mit seinem Chef und arbeitete hier auf Probe, um das Terrain für eine feste Anstellung zu sondieren. Eine Weile small talk mit einer Reisebekanntschaft, Scheinnormalität. Die technischen Möglichkeiten hier – suboptimal. Mit Familie wäre das Ganze Unsinn; ohne Familie – warum nicht? Er sei begeisterter Paraglider, hätte Lust gehabt, auch hier – aber es fehle dann doch an der Infrastruktur. Und was in der Freizeit tun? Arabisch lernen? Das auf jeden Fall. Kath kauen? Das auf keinen Fall, ein Kollege, der es probiert habe, habe statt eines Rausches drei Tage Durchfall eingefangen.
Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass Mohammed von ihm operiert werden würde. Während die anderen Ärzte von schweren Kontusionen sprachen und die Zukunft offen liessen, sagte Dr. S.: „Ich habe genug solche Röntgenbilder gesehen. Es ist ein Querschnitt. Da ist nichts zu machen. Wir können den Wirbel stabilisieren, aber das Mark ist durchtrennt.“
Im German Hospital wartete Y. Zwei Gefühlswelten prallten aufeinander: Wir waren froh, erleichtert, überzeugt, das Schlimmste hinter uns zu haben. Y. war erschüttert, besorgt, den Tränen nahe, uns derart zerschlagen vorzufinden. Sie hatte den gestrigen Nachmittag mit Telefonaten verbracht, in denen sie ihre immensen Überzeugungskräfte ins Spiel brachte; sie wartete seit einer Stunde hier und sie würde uns nicht mehr aus den Augen lassen, bis wir sicher im Flugzeug nach Deutschland sassen.
Das German Hospital liegt in der Neustadt von Sana’a, die ursprünglich von den türkischen Besatzern gegründet wurde. Die Altstadt und der Suk sind vielleicht eine Viertelstunde Fahrt entfernt; der Weg führt an einem Prachtboulevard für die Paraden der Armee und an der riesigen Residenz des Präsidenten vorbei. Wenn solche Paraden sind, besetzen Scharfschützen das Dach von Y.s gemietetem Haus.
Zu diesem Haus gibt es eine Geschichte: Hier wohnte früher standesgemäss auf über dreihundert Quadratmetern ein Bankangestellter mit seiner Familie. Als er sich scheiden liess, blieb der verlassenen Frau das Haus; sie zog mit ihren Kindern in den Keller und vermietete die drei Obergeschosse für rund vierhundertfünfzig Euro an Y. Im Erdgeschoss liegen eine Küchenhalle und die Büroräume von Y. Oben grosszügige Räume, viele Fenster, Oberlichter aus Gipsfachwerk mit bunten Gläsern, eine Dachterrasse, gekachelte Bäder mit Porzellan Ideal-Standard. –
An die Treppe zum ersten Stock haben wir uns nie gewöhnt. Sie hat eine Eigentümlichkeit, der wir schon öfter – auch in Hotels – begegnet waren. Treppen im Jemen werden anscheinend nicht geplant, sondern gebastelt. Die Höhe der Stufen variiert. Wer mit europäischen Stiegen aufgewachsen ist, verliert den Takt und stolpert.

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