Aufsaetze
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Verkehrsunfall im Jemen

Vor fünf Minuten hatten wir noch mit den Fernfahrern und den Polizisten der Escorte an einem Rastplatz Tee getrunken. Ich hatte mich hinter einem Busch erleichtert und auf dem Rückweg am Rand einer Zisterne, deren grössere Fläche mit vertrockneten Wasserpflanzen bedeckt war, die leere Hülse einer Kalaschnikow-Patrone gefunden und eingesteckt. Später, in Sana’a, warf ich sie in Y.s Papierkorb. Ich wollte sie nicht im Fluggepäck haben.
Mohammed war fröhlich gewesen, als er durchgesetzt hatte, dass wir ohne Eskorte weiterfahren durften. Die Eskorte von Sa’dah hatte uns bis hierher gebracht. Die von Amran kam nicht. Wir warteten. Schliesslich schrieb er mit einem Kugelschreiber etwas auf einen Bogen Papier. Er unterschrieb mit einem Schnörkel.
„We need not police, I am police“, ist der letzte Satz, den ich von ihm in Erinnerung habe, als er noch der war, als den wir ihn kennengelernt haben. Denn was jetzt aus ihm werden wird, wissen wir nicht. Im AlSalam-Hospital in Sa’dah hat er nur geschrieen und ist schliesslich betäubt eingeschlafen. Als ich ihn zwei Tage später im German Hospital in Sana’a besuchte, war er wieder ansprechbar. Er drückte mir die Hand, erstaunlich kräftig, lächelte ein wenig und sagte, nach seinem unterhalb der Gürtellinie empfindungslosen Körper tastend: „No use, no good.“ Zwei seiner jüngeren Brüder und ein Cousin sassen neben dem Bett, ihre Gesichter so leer wie ihre Dolchscheiden.

Fahrt nach Sa’dah

Der Jemen ist ein steiniges Land mit vielen Wüsten, wenigen Gärten und noch weniger Feldern. Auf der Fahrt in die Tihama sah ich unter einem terrassierten Acker, der das Getreide in Zehnerreihen trug, noch einige Mini-Terrassen, einem Felsen abgewonnen, topfgross, liebevoll mit zwei Hirsehalmen bepflanzt.
Es gibt viele Wege hier, auf denen man stundenlang kaum ein Lebewesen sieht. Wir aber waren von einer der wenigen geteerten Strassen in die Wüste gefallen und unser Sturz wurde rasch bemerkt. Während ich noch grübelte, wie es weitergehen sollte, hatte oben auf der Strasse ein Polizeiwagen gehalten. Schnell bildete sich eine Schlange aus zwei Militär- und einigen Zivilfahrzeugen. Grüngelbgefleckte Tarnuniformen, betroffene Gesichter. Ein Polizeipickup mit Mohammed Abdullah auf der Pritsche fuhr schon los. Der Befehlshabende, sehr dunkel, schnurrbärtig, ernst und höflich, winkte uns zu sich. Er sprach ein paar Brocken Englisch.
Auf der Gegenfahrbahn stand ein grosses Auto, nicht unähnlich dem Verunfallten. Ein Landcruiser, vielleicht dreissig Jahre alt, mit einem Kasten wie ein Kühlschrank auf dem Dach, aus dem Lautsprecher nach vier Seiten ragten. Am Steuer sass ein würdiger alter Mann mit Turban und weissem Bart. Er war allein unterwegs, er hatte Platz, er sollte uns in die Klinik in Sa’dah bringen, eine gute Stunde Fahrt zurück in den Norden. Unser Gepäck? Keine Sorge, zwei Soldaten würden das Wrack bewachen. Nein, wir wollten das Gepäck lieber mitnehmen. Kein Problem – rasch wurde es herbeigeschafft, auch Mohammeds schwarze Reisetasche. Dann trugen vier Männer auf einer Decke U. zu dem Toyota und betteten sie, die bei jeder Bewegung schrie, auf die Rückbank. R. quetschte sich zu ihr und hob ihren Kopf auf seinen Oberschenkel; G. und ich setzten uns nach vorne zu dem Fahrer.

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