Angesichts der Ängste von Experten und Bürgern ist es schwer, über die Hilfe zu einem Tod in Würde zu sprechen
In Primitivkulturen sterben Menschen, die glauben, verhext zu sein, einen psychogenen Tod, den sie sich aus eigenem Entschluss nicht antun könnten. In Hochkulturen gedeihen Phantasien über ein von der Medizintechnik aufgezwungenes, von Schmerz und Scham getränktes Vegetieren. Der Arzt wird dann zur gnadenlosen Autorität, die den Wunsch zu sterben ähnlich abweist wie ein Militär den Wunsch des Soldaten, die Front zu verlassen. Debatten über Sterbehilfe, wie sie auch 2011 wieder auf dem Ärztetag in Kiel geführt wurden, wären überflüssig, wenn Menschen generell in der Lage wären, sich ein Ende nicht nur zu wünschen, sondern ihr Leben auch diesem Wunsch zu unterwerfen. Aber im Normalfall entzieht sich der Tod der Macht des eigenen Willens und bleibt der Macht Dritter unterworfen.
Kein Mensch ist Herr über Leben und Tod. Aber manche sind mächtiger als andere. Der Ärztetag hat nach einer kontroversen Debatte die Formulierungen verschärft, welche Ärzten verbieten, sterbenswillige Kranke in ihrem Wunsch zu unterstützen, in Würde und Sicherheit aus dem Leben zu scheiden.
Dass niemand einen Entschlossenen hindern kann, von einer Brücke zu springen oder sich eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen, ist trivial. Aber es geht in der ganzen Debatte vor allem um Symbole, um Tabus und um die soziale Komponente des Todes. Die Psychoanalytiker haben einen besonderen Bezug zu diesem Thema: ihr geistiger Vater hat von seinem Arzt Sterbehilfe gewünscht -und bekommen.
Freuds Todesspritze
1938, nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich, fand Sigmund Freud Zuflucht in London. Ein Jahr später starb er dort unter denkwürdigen Umständen, die ein Licht auf die Problematik des selbst bestimmten Todes werfen.
Am 10. November 1938 kommentiert Freud fast sprachlos vor Erbitterung die Pogrome in Deutschland, die von Goebbels inszeniert wurden, nachdem ein siebzehnjähriger polnischer Jude einen Sekretär der deutschen Botschaft in Paris niedergeschossen hatte. Etwa 30 000 Juden wurden deportiert, Synagogen verbrannt, Geschäfte geplündert. Zur gleichen Zeit wurden Freuds Werke von der Franco-Diktatur in Spanien verboten.