Aufsaetze
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Verkehrsunfall im Jemen

Von Hajjah fuhren wir nach Sa’dah. In Sa’dah übernachteten wir zweimal. Ausflüge in die Umgebung, zum Kalaschnikow-Markt, zu den Felsbildern, zur Türkenfestung. Dann reisten wir zurück nach Sana’a, in die Hauptstadt, wo wir einen Tag vor der Fahrt durch die Wüste über Marib nach Hadramaut rasten wollten.

Der Unfall

Dieses Handy. Wenn das Handy nicht gewesen wäre! Das Handy war Mohammeds Augapfel. Neben der Neuerung, dass niemand mehr mit der Dschambija (dem Krummdolch, der ein Zeichen des freien Mannes ist) im Gürtel öffentliche Gebäude betreten durfte, war das Handy die grösste Neuerung, als wir im Herbst 2002 wieder in den Jemen kamen. Die bärtigen Männer in der Halle des Flughafens wirkten seltsam beraubt mit der leeren Scheide am gestickten Gürtel. Die kleinen Handytäschchen konnten den Verlust nicht ganz ausgleichen.
Ehe wir Sana’a verlassen hatten, war Mohammed Abdullah noch zu einem grossen Gebäude mit Reklametafeln über das neue Funknetz gefahren. Er hatte einen dicken Packen Rialscheine mitgenommen und sein Handy aufgeladen. Wohin wir auch kamen, er suchte nach dem Netz, in Hajjah fand er auch eines – aber leider gab es in seinem Heimatdorf diese Möglichkeit noch nicht, er konnte seine Frau nicht erreichen, nur die Freunde in der Hauptstadt. Das Handy war eine Art Wechsel auf die Zukunft, zierlich, blau, von einer edlen Marke.
Er hatte es nach dem letzten Wechsel der Polizeieskorte an der Distriktsgrenze zwischen Sa’dah und Amran neben sich auf den Sitz gelegt. Das war kein sicherer Platz, und ich überlegte noch, ob ich ihn darauf hinweisen, es hochnehmen sollte. Aber mir fiel keine bessere Ablage ein, ich konnte es schliesslich nicht in eine meiner Taschen stecken.
Dann ging alles sehr schnell. Mohammed tastete nach dem Handy, erschrak: es war heruntergefallen. Er musste es finden. So neigte er sich, fingerte zwischen den Vordersitzen, genau an der Stelle, wo die nie benutzte Peitsche seines Sicherheitsgurtes lag. Deshalb sah er nicht, dass sich inzwischen die Strasse zu einer leichten Linkskurve gekrümmt hatte. Das rechte Vorderrad des schweren Wagens war gerade dabei, in das unbefestigte Bankett über einer vier Meter tiefen, felsigen Böschung abzurutschen.
Mohammed Abdullah riss das Steuer herum, um wieder mit allen Rädern auf die Teerdecke zu kommen. Aber es war zu spät. Mit einem PKW, vor allem einem mit Vorderradantrieb, wäre das Manöver geglückt. Aber der hochbeinige, über zwanzig Jahre alte Landcruiser kippte um.
Es ist genau diese Szene, in der die Welt unserer kleinen Reisegemeinschaft auf Messers Schneide stand, die ich später Tag für Tag mindestens zwanzig Mal vor mir sah -die Szene des Übergangs von der Normalität in die Katastrophe, vom Leben in den Tod, von der Sicherheit in die Verwirrung. Vor einer Sekunde war noch alles in Ordnung, wir sassen bequem, die Sonne schien, ein schöner Tag kam auf uns zu, es war erst zehn Uhr, eine gemächliche Fahrt an malerischen Wüsten entlang, an Lehm- und Steindörfern vorbei, hinab in die fruchtbare Ebene von Amran und schliesslich nach Sana’a, einer der schönsten Städte der Welt.
Morgen dann Hadramaut, Oasenstädte, Schnorcheln im indischen Ozean, wo man in einer Minute mehr Fische sieht als im Mittelmeer an einem ganzen Tag.

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