Vortrag
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Vom Hexenschuss zum Bandscheibenvorfall oder: Der zerstückelte Schamane

Aber krank wurde Sidonia. Rückenschmerzen. Sie schaffte ihr Examen mit einem starren Lächeln und einer steifen Haltung, welche ganz und gar nicht zu der Taucherin passt, die sich unter Wasser bewegte wie die kleine Seejungfrau. Karl war betroffen. „Du kannst doch nicht immer Pillen einwerfen!“ sagte er. „Lass dich endlich richtig untersuchen!“
Sidonia ging zum Orthopäden. Der vermutete einen Bandscheibenvorfall. Genaueres wisse man erst nach einem Kernspintomogramm. Diagnosemethode der Wahl. So legte sich Sidonia in die Röhre. Die Bilder seien eindeutig, sagte der Radiologe. Bandscheibenvorfall zwischen C 7 und C 8. Verengter Rückenmarkskanal. Gequetschte Nerven. Sie könne Schmerzmittel schlucken und sich den Magen verderben, oder sich operieren lassen. Das sei die Methode der Wahl. Er kenne einen Operateur.
Sidonia stimmte zu. Genau genommen war es ihr egal. Karl wollte, dass sie wieder in die Arbeit ging. Das war wohl das Beste. Keine Kinder. Vielleicht vernünftiger so, sie hatte allerhand Röntgenstrahlen abbekommen während der Zeit in der Notaufnahme in Neapel. Karl liebte sie, er musste sie doch lieben. Er war so besorgt, ist das nicht wichtiger als Sex?

Sidonia wurde operiert, von einem Spezialisten für Neurochirurgie, der jeden einzelnen Schritt der OP per Video festhielt. Nachher trat er an ihr Bett und versicherte, die OP sei ausgezeichnet verlaufen. In zwei Wochen sei sie beschwerdefrei.
Die Schnitte verheilten gut, aber Sidonias Schmerzen wurden nach der Operation schlimmer als zuvor. Sie war ohne hohe Dosen Schmerzmittel nicht mehr arbeitsfähig – und mit ihnen fürchtete sie, nicht gut genug zu sein für neue Aufgaben als Fachärztin. Sie ging wieder zu dem Spezialisten, der sie operiert hatte. Dieser verordnete erneut eine Kernspinuntersuchung und ging mit ihr die Bilder durch. Sie sah, wo die lädierte Bandscheibe gesessen hatte. Er erklärte ihr genau, wie gut der Befund nach dem Eingriff aussah. Aus seiner Sicht sei die Operation perfekt gelungen, daran halte er fest. Wenn sie noch Schmerzen habe, sei er als Chirurg nicht mehr zuständig, das müsse eine andere Ursache haben. Er empfehle eine auf orthopädische Rehabilitation spezialisierte Klinik; der Chefarzt sei der einzige ihm bekannte Orthopäde, der auch eine Ausbildung in Psychotherapie habe.

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