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Unsere Kindersoldaten

Die überlastete Kränkungsverarbeitung in den Schulen ist längst bekannt; sie wird verleugnet, bis sie explodiert

Eine der Merkwürdigkeiten im Umgang der Medien mit dem jüngsten Amoklauf eines Schülers war die lang anhaltende und zickig wirkende Debatte, ob es gut oder schlecht gewesen sei, eine gefälschte Internet-Botschaft unter die Leute zu bringen. Dieses Detail, das viele Druckseiten gefüllt und Sendeminuten verschluckt hat, verrät vielleicht mehr als viele andere die ganze hilflose Augenwischerei im Umgang mit solchen Ereignissen. Es wurde gestritten, als würde eine fiktive Botschaft in einem Blog ein existenzielles Geheimnis über die Tat enthüllen, während doch das wahre Problem ist, dass wir längst genug wissen, uns aber den Konsequenzen nicht stellen wollen. Wer sich das klar macht, kann mit gespieltem Entsetzen nicht mehr viel anfangen.

Sie sind mitten unter uns, unsere Kindersoldaten. Vorzugeben, es sei jede dieser narzisstischen Explosionen unvorhersehbar und die große Ausnahme, ist so klug, wie zu behaupten, jeder wisse doch, dass Schwefel, Kohle und Salpeter für sich genommen ganz harmlos sind; also sei die Explosion eines Gemischs aus diesen Stoffen auch nicht vorauszusehen.

Ohne Schusswaffen gibt es keine Kindersoldaten. Kriegsberichterstatter fürchten nichts mehr als die Begegnung mit halben Kindern, die in den Krisengebieten Afrikas und Asiens mit Kalaschnikows auf Streife gehen. Denn Kindersoldaten erschießen einen Fremden auch schon mal aus Langeweile oder weil sie es komisch finden, wie er umfällt. Die Schusswaffen entsprechen der Kohle in dem explosiven Gemisch. Durch Schusswaffen ist es spielerisch möglich, einen Menschen abzuknallen, der stärker und gewandter ist.

Der moderne Amoklauf hängt nicht an der Schusswaffe, sondern an der Automatik, dem Mehrlader. Wer – wie das Jahrhunderte lang für alle Schützen selbstverständlich war – nach jedem Schuss laden muss, der kann nach dem ersten Schuss in eine Gruppe hinein überwältigt werden. Wenn er eine oder gar mehrere automatische Waffen hat, kann ein Sechzehnjähriger ein ganzes Dorf in Angst und Schrecken setzten – oder eine ganze Schule.

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