Vortrag
Kommentare 1

Vom Hexenschuss zum Bandscheibenvorfall oder: Der zerstückelte Schamane

Und so geschah es. Quesalid setzte seine Lippen auf den entblössten Rücken von Brauner Biber und saugte kräftig daran, bis er den Geschmack von Blut spürte. Dann spie er das Büschel, das aussah wie ein blutiger Wurm, in die Schale. Er zeigte es dem Kranken und allen Umstehenden, beschwor noch einmal die Schutzgeister und verkündete, der Schmerz werde schwinden, sobald der Wurm im Feuer verbrannt und die in ihm gesammelte böse Kraft wieder jenseits der Sippenwelt des Biberclans sei.

Erschöpft taumelte Quesalid in seine Hütte und ruhte sich aus. Die Teilnehmer an der Heilungszeremonie zerstreuten sich. Brauner Biber konnte ohne Hilfe aufstehen und in sein Wigwam zurückkehren. Er schlief in der zärtlichen Umarmung seiner Frau, die er vorher noch gebeten hatte, ihm seine bösen Gedanken über den Tod ihrer Mutter zu verzeihen.

Die Bandscheibenoperation

Sidonia Carisi, eine junge Ärztin aus Neapel, verbrachte ihre Sommerferien mit einer Freundin auf einem Campingplatz in der Nähe des Scolio del Paradiso. Die Paradiesklippe liegt in dem bezaubernden Naturschutzgebiet der Manacore di Gargano, auf dem Sporn des Stiefels der Italien-Karte. Die beiden Freundinnen schwammen und wanderten zusammen; ihr liebstes Hobby, das Tauchen und Fischen mit dem Speer musste Sidonia freilich alleine üben. Die Freundin paddelte lieber im Seichten.
Auf einer dieser Tauchexpeditionen lernte Sidonia einen blonden Mann kennen, mit dem sie über das gemeinsame Hobby ins Gespräch kam. Karl Selling war ein deutscher Soziologe, acht Jahre älter als Sidonia; er hatte gerade seine Habilitation abgeschlossen. Sie verständigten sich in Englisch, das beide leidlich beherrschten, und verliebten sich heftig.

Sidonia kam aus einer kleinbürgerlichen Familie, die – in Neapel eher selten – zu den treuen Wählern der Kommunistischen Partei gehörte. Ihr Vater hatte das Studium seiner ältesten Tochter nach Kräften unterstützt, aber Sidonia war sich nicht sicher, ob ein Ehemann aus dem Umfeld ihrer Familie eine berufstätige Frau als Partnerin und Mutter gemeinsamer Kinder akzeptieren würde. Es bedrückte sie, sich ein Schicksal vorzustellen, das dem ihrer Mutter glich – Haushalt, Kirche, Kinder, schwarze Kleider, seit die Grossmutter gestorben war.

1 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert