Bei den frühen Schaltungen am Fahrrad musste man den Lenker loslassen, um den Gang zu wechseln; heute sind die entsprechenden Hebel als Drehgriffe oder Hebelchen am Lenker angelegt, obwohl das technisch störanfälliger und teurer ist. Die Handkurbel, um ein Auto anzuwerfen, der Trethebel, mit dem ein Motorrad gestartet werden kann – sie alle wurden durch „bequemere“ Lösungen ersetzt, die uns nicht nur einer Möglichkeit zur körperlichen Tätigkeit berauben, sondern Rohstoffe vergeuden und uns von störanfälligen Energiequellen abhängig machen.
Die Konstrukteure rechtfertigen das damit, dass der Markt über solche Fragen entscheidet. Abgesehen davon, dass sich mit diesem Argument auch der Verkauf von Heroin rechtfertigen lässt, entscheidet der Markt nur so lange für den Raubbau an natürlichen Rohstoffen und menschlicher Gesundheit, wie die Folgen dieser Entscheidungen nicht umsichtig dem Produzenten aufgebürdet, sondern von einer Allgemeinheit getragen werden, welche die langfristigen Folgen dieses Wachstumswahns von Konsum und Komfort nicht erkennt.
Handwerk ist Hingabe an eine Sache um ihrer selbst willen. Wer eine Fertigkeit übt, wird in der Regel nur den Beginn mühsam finden. Je besser er beispielsweise ein Musikinstrument beherrscht, desto mehr Freude macht es ihm, damit zu üben und noch besser zu werden. Die Übung des eigenen Könnens ist immer Schwankungen unterworfen; es gibt gute und schlechte Tage, es fließt oder stockt. Gerade aus diesen Schwankungen lernt der Handwerker, die eigene Tätigkeit genauer wahrzunehmen.
Was Sennett Handwerk nennt, habe ich in früheren Arbeiten als professionelle Entwicklung beschrieben. Je mehr es dem Künstler, dem Arzt, dem Lehrer oder Anwalt gelingt, seine Tätigkeit geistig zu besetzen, sie um ihrer selbst willen zu leisten, sich in ihr wahrzunehmen und zu entwickeln, desto weniger ist er von jenen Formen einer beruflich geprägten Depression beeinträchtigt, die unter dem Begriff des Burnout inzwischen zu einer Modekrankheit geworden sind. Ich zitiere abschließend noch einmal Sennett:
„Ausdrücke wir ‚handwerkliche Fertigkeiten‘ oder ‚handwerkliche Orientierung‘ lassen vielleicht an eine Lebensweise denken, die mit der Entstehung der Industriegesellschaft verschwunden ist. Doch das wäre falsch. Sie verweisen auf ein dauerhaftes menschliches Grundbestreben: den Wunsch, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen. Und sie beschränken sich keineswegs auf den bereich qualifizierter manueller Tätigkeiten. Fertigkeiten und Orientierungen dieser Art finden sich auch bei Programmierern, Ärzten und Künstlern.“
3 Kommentare