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Die Freude am Verfahren

Die Verlobung mit dem Traumpartner, die Geburt eines gesunden Kindes, das Examen – große Freuden, die etwas vom Bungee-Springen haben: Aufatmen, weil alles gut gegangen ist. Die Freude des Bürgermeisters der Kleinstadt ist schließlich auch vor allem Erleichterung; es ist fürchterlich peinlich, wenn ein groß angekündigter Redner nicht kommt; jetzt ist er da, das Publikum ist auch erschienen, bisher ist alles gut gegangen. Das ist erfreulich, auch wenn es nicht die große Freude ist.

Glücksmomente heftiger Intensität sind überraschend, herzweitend, sozial nicht vorgesehen. Benannt, kommentiert werden sie manchmal banal, wie die erste Zigarette nach einer Operation oder der erste Schluck Bier nach einer anstrengenden Wanderung. Die große Freude klingt hochtrabend und muss etwas Besonderes sein, man hört im Kopf Schillers Ode zu Beethovens Melodie und fragt sich mit leisem Zweifel, wann man je wonnetrunken ein Heiligtum betreten hat. War man einfach nur betrunken, daher Alles Heiligtum?

Solche frivolen Fragen haben die psychologischen Autoritäten hinter sich. Sigmund Freud hat den Rausch als einen der sichersten Wege zum heftigen Glücksmoment beschrieben und festgestellt, dass die Intensität größter Freude, der Entladung angesammelter Spannung geschuldet, gar nicht dauerhaft sein kann. Damit kommen wir zu einem anderen Aspekt unserer Frage: was meint groß? Hohe Intensität, lange Ausdehnung, beides zusammen? Ist eine große Freude die, in der durchlebt wird, was in den Augen der anderen Menschen groß ist, ein Werk, ein Erfolg? Oder etwa gar eine klammheimliche Freude, wie es das zynische Sprichwort über die Schadenfreude sagt?

Der Weg nach außen ist für uns wie eine Autobahn, der Weg nach innen wie ein Dschungelpfad. Daher ist es nicht leicht, zum Wesen der großen Freuden vorzudringen. Denn sie ergeben sich gerade nicht aus gesellschaftlich anerkannten Werten oder gar aus der Rhetorik über erwünschte Gefühle. Große Freuden haben wohl auch nur bedingt mit dem sinnlichen Lusterleben zu tun. Sinnliche Freuden sind intensiv, aber sie verklingen, sie wachsen nicht, sie können nicht groß werden.

Große Freuden sind etwas, das Festigkeit im Leben gibt, einen positiven, sicheren Ort schafft, an den wir zurückkehren können, wann immer wir wollen. Das kann ein Liebespartner sein, der sich in Höhen und Tiefen bewährt hat, eine Familie, ein Haus, ein Garten, eine Sammlung. Mit sich selbst einig zu sein und etwas tun zu können, das Vergänglichkeit und Leid vergessen hilft, scheint mir die größte Freude des menschlichen Lebens, über die in ihr Spiel vertiefte Kinder so gut verfügen wie eine Gärtnerin in ihrem Blumen- oder Gemüsebeet oder ein Maler in seinem Atelier.

Um es etwas konkreter zu machen: Ich denke bei dieser Art der Freude an zwei große Männer. Von Michelangelo wird erzählt, ihm anders als vielen Bildhauern, welche diese Arbeit Gehilfen überlassen, das Behauen des Marmors so viel Freude machte, es ihm am Abend schwer fiel, das Tageslicht abzuwarten. Also schenkte ihm einer seiner Schüler einen kunstreich gemachten Hut aus Pappe mit einer Vorrichtung, um Lichter darauf zu befestigen. So konnte der Bildhauer auch nachts seine Freude haben.

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