Aufsaetze
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Der Bombenbastler

Als das Zittern in ihm begonnen hatte, in den letzten Schuljahren, hatte er oft während der langen, leeren Wartezeiten im Schulgottesdienst nachgedacht, ob Gott ihn strafe. Vielleicht hatte er eine Sünde begangen, von der er nicht wusste? Vielleicht konnte er ein Gebet sprechen, das ihn erlöste? Die Mutter im Himmel oder die Mutter Maria um Beistand bitten? Er spürte nichts, wenn er betete, da war es noch besser, aufzuräumen, im Wald herumzulaufen, etwas zu arbeiten.
An Ostern sollte er beichten, die heilige Kommunion empfangen, aber er wusste nicht, wie er das Zittern beschreiben sollte. Nach der Kommunion wartete er auf eine besondere Empfindung, ein Glücksgefühl, eine Erlösung, solche Dinge gab es, der Kaplan hatte im Religionsunterricht davon erzählt und süss gesprochen und die Augen in den Himmel gedreht. Sollte er jetzt beichten, dass sein Pulverspiel, seine schwarze Messe ihm das Entzücken verschaffte, auf das er zwischen Weihrauch und Glockengebimmel vergeblich gewartet hatte?
Er legte seine Hände auf die Bombe und übergab ihr so seine Leiden, seine finsteren Gedanken, seine bösen Wünsche gegen den Vater, gegen die Lehrer, gegen die Schulkameraden. Und wenn dann alles in die Luft flog und sich auflöste, war es ein Rauchopfer, eine Gabe an den Herrn, es war Tat und Macht und kein erbärmliches Wiederholen längst bekannter Sprüche.
Wer ein wenig zuhörte und nachforschte, der erfuhr doch allerhand über die Kraft der Explosion. Die alten Männer erzählten, wie sie früher, als das Holz noch teuer war und die Arbeit billig, mit einem langen Holzbohrer und einem Säckchen Schwarzpulver in den Wald gezogen waren, um Stöcke zu sprengen.
Man setzte den Bohrer auf die Oberfläche des Wurzelstocks. Man drehte an dem armlangen Querholz, bis sich die scharfe Spitze unter die Erdoberfläche in die Hauptwurzel gefressen hatte. Dann füllte man ein Mass Pulver in das Bohrloch und legte die Zündschnur. Jetzt wurde das Loch mit einem alten Lumpen und einem Holzpflock verkeilt; man musste achtgeben, dass die Zündschnur unbeschädigt blieb. Dann brannte man sie an und zog sich zurück.
Es krachte, eine Staubwolke erhob sich, Steine und Holzteile prasselten aus ihr. Wenn die Bohrung gut gesetzt war, lag der Stock, in Scheite zerrissen, in dem Sprengkrater. Er musste nur noch aufgeladen werden. Ohne Pulver war es die mühsamste, von allen gefürchtete Arbeit, einen Baumstock auszureuten. Mit dem Pulver war es ein Kinderspiel. Heute war es verboten. Wer im Wald wanderte, fand manchmal noch die kleinen, überwachsenen Krater vergangener Rodungen.
Wen jemand das Dach des alten Hofes wie bei einem Puppenhaus hätte abheben und hineinschauen können, er hätte die zwei Männer, den Vater und den Sohn, in ihrer je eigenen Welt gesehen, nebeneinander: das Chaos des Vaters, dem es gleichgültig war, ob das Leintuch einen Monat oder ein Jahr auf der Matraze lag und der seine Hosen trug, bis sie zerrissen – und die Ordnung des Sohnes, der begonnen hatte, seine Wäsche zu bügeln, nur seine eigene.

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