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Helfersyndrom reloaded

Die Unfähigkeit zur Demokratie

Während es zu den demokratischen Spielregeln gehört, sich für die Interessen der eigenen Gruppe einzusetzen, nach einer Niederlage aber die Entscheidung der Mehrheit mit zu tragen und auf das von dieser garantierte Recht der Minderheiten zu vertrauen, wird ein narzisstisch gestörter Helfer behaupten, er sei es seinen Schützlingen schuldig, jetzt blindlings weiterzukämpfen.

Sicherlich ist Radovan Karadzic ein extremer Fall. Wie andere Extreme ist er auch lehrreich und kann verdeutlichen, was sonst im Hintergrund wirksam ist und durch Vernunft mehr oder auch weniger ausgeglichen wird. Die besonderen Probleme der helfenden Berufe, Kränkungen zu verarbeiten, sind inzwischen auch empirisch gut dokumentiert.

Umfragen haben gezeigt (und die im Feld Tätigen nicken, wenn sie diese Zahl hören), dass in den Krankenpflegeberufen 60 Prozent der subjektiv erlebten Stressbelastung aus den Beziehungen zu den Kolleginnen und Vorgesetzten kommt. Dazu passt, dass Mobbingklagen nirgends so häufig sind wie in ethisch besonders anspruchsvollen Helfer-Szenarien, etwa in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, in den Kirchen, überall dort, wo Arbeit nicht eindeutig bewertet werden kann (etwa an Stückzahlen, Umsätzen, handwerklichen Leistungen, Dienstzeiten).

Das von Radovan Karadzic so eindrücklich demonstrierte Muster, eine Gruppe zu spalten, wenn sie nicht mir allein gehorcht, ist in harmloseren Formen aus der Gremienarbeit von Helfern vertraut. Ärzte oder Psychologen scheinen besonders dazu zu neigen, nur so lange demokratische Spielregeln zu respektieren, wie sie nicht überstimmt werden.

Spaltungen, die dem Ganzen nur schaden, sind seit den Kämpfen zwischen Freud, Adler und Jung ein Element der Therapeuten-Szene. Niemand sollte noch glauben, wer in die Tiefen der menschlichen Seele blicke, sei besser in der Lage, Kränkungen zu verarbeiten als der Durchschnittsmensch. Die psychologische Einsicht ist ebenso wie die moralische Ermahnung schwächer als das narzisstische Bedürfnis; im Konfliktfall gibt dieses oft genug den Ausschlag. Danach wird die Entscheidung dann durch psychologische Phrasen gerechtfertigt.

Die Erforschung der helfenden Berufe hat gelehrt, dass ein Modell heroischer Festigkeit die persönliche Integrität weniger bewahren kann als der Blick auf Hintergründe und Abhängigkeiten. Es ist ein wenig wie in Freuds Gleichnis über das Stadtpferd der Schildbürger, mit dem er versucht hat, deutliche zu machen, wie wenig maximale moralische Forderungen die Integration der Sexualtriebe in die Gesellschaft ermöglichen können.

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