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Mobbing zum Leben?

Können Kranke, die nicht so gebildet, selbstbewusst, mit dem Schmerz eines chronischen Leidens vertraut sind wie Sigmund Freud, können einfache, leichtgläubige Menschen sich wehren, wenn ihre Angehörigen von ihnen wollen, dass sie den Tod wählen, weil ihre Pflege zu anstrengend und aufwändig ist?

Wahrscheinlich nicht. Allerdings bleibt die Frage offen, ob das mit Strafdrohung bewehrte Verbot der Lebensqualität mehr dient. Die Schwerkranke, die von einer vollständig überlasteten Familie gepflegt wird, mag aufblühen, wenn die Familie entlastet wird, wenn eine erschwingliche und liebevolle Pflegekraft ins Haus kommt. Aber wenn diese nicht in Sicht ist und die Situation für alle Beteiligten unerträglich wird? Könnte es nicht auch der Würde solcher Menschen dienen, dass sie die Möglichkeit haben, den Tod dem Leben vorzuziehen? Brauchen sie Anwälte, die sie vor solchen Fragen, vor solchen Gedanken schützen, oder können sie das selbst?

Die Widersprüche zwischen dem Votum der Bevölkerung (rund 70 Prozent der Deutschen befürworten in Umfragen die Sterbehilfe nach dem holländischen Modell) und der Gesetzgebung lassen sich besser verstehen, wenn die unsichere Grundlage der Begriffe „Freiwilligkeit“ und „Hoffnungslosigkeit“ mit dem verknüpft wird, was wir über Depression wissen.

Das Problem der Depression

Es ist keine Nebenerscheinung, sondern das zentrale Phänomen der schweren Depression, dass sich die Betroffenen ein Ende ihrer Qual nicht vorstellen können und lieber sterben wollen, als sie länger zu ertragen. Dieser Gedanke ist in den meisten Depressionen nachweisbar; das klinische Handeln orientiert sich nicht daran, ob der Kranke ihn zugesteht oder verleugnet, sondern welche Gegenkräfte der Psychotherapeut erkennen kann: Wie viele Bindungen, wie viele Ablenkungen und welche Hoffnungen kann der Depressive noch mobilisieren?

Während der Tod definitiv ist, gehen viele Depressionen vorüber. Dann sind die Betroffenen, die sterben wollten, durchaus dankbar, dass man sie daran gehindert hat. Aber es gibt auch Depressionen, die nicht wieder verschwinden. Viele Depressive töten sich schließlich doch, nach langem Kampf, einsam und grausam für sich ebenso wie für ihre Angehörigen.

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