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Mobbing zum Leben?

Jetzt waren auch Freuds vier in Wien gebliebene Schwestern nicht mehr sicher; Freud und Marie Bonaparte bemühten sich sehr, sie noch herauszuholen. Es gelang nicht mehr; die zwischen 75 und 80 Jahre alten Frauen kamen im KZ um. Freud litt unter unausgesetzten Knochenschmerzen, behandelte aber noch vier Patienten täglich, korrigierte den „Moses“ und feierte mit seinem Sohn Oliver dessen 48. Geburtstag.

In Briefen zeigt Freud, dass er auch angesichts des letzten Kampfes gegen seine Krebserkrankung seinen Humor lange Zeit behalten konnte. „To cut a long story short, es hat sich nach vielen Untersuchungen ergeben, dass ich eine Rezidive meines alten Leidens habe. Die Behandlung, zu der man sich entschloß, besteht in einer Kombination von Röntgen von außen und Radium von innen, die immerhin schonender ist als – Kopfabschneiden, was die andere Alternative gewesen wäre….Es ist eben ein Weg zum unvermeidlichen Ende wie ein anderer, wenngleich nicht der, den man sich gerne ausgesucht hätte.“ So schreibt er an Hanns Sachs.

Die Radiumbehandlung erschöpft ihn sehr, die Eintragungen in die Chronik sind selten und depressiv. Sicher trug es auch zu seiner schlechten Stimmung bei, dass sein vertrauter „Leibarzt“ Max Schur im April 1939 nach Amerika gereist war, um sich dort einbürgern zu lassen. Schur versprach, so schnell wie möglich zurückzukehren, aber es kostete viel Zeit, die amerikanischen Prüfungen für eine Zulassung als Arzt abzulegen.

So kam Schur erst am 12. Juli 1939 nach London zurück. Er fand Freud stark verändert. Dieser hatte abgenommen und reagierte – verglichen mit seiner sonstigen Lebhaftigkeit – apathisch. Durch die Röntgenbestrahlung hatte er seinen Bart auf der rechten Seite verloren. Im Mund fand sich an der Stelle der letzten Läsion abgestorbenes Gewebe, eine Knochennekrose, die faulte und einen üblen Geruch ausströmte.

So kam ein weiterer, bitterer Entschluss. Freud musste seine Praxis aufgeben, die er seit 53 Jahren führte und nur dann unterbrochen hatte, wenn er verreist war oder schwer krank. In den nächsten Wochen wurde Freud rasch schwächer. Er konnte nicht mehr schreiben und gab es auf, seinen letzten Text, den „Abriss der Psychoanalyse“ fertig zu stellen. Er verabschiedete sich von seinen anwesenden oder angereisten Freunden.

Die Sekundärinfektion des Knochentumors hatte ein Loch in die Wange gefressen, so dass eine offene Verbindung der Mundhöhle nach außen entstanden war. Freud konnte kaum mehr essen und sprechen; der Geruch aus der Knocheneiterung ließ sich nicht mehr unter Kontrolle bringen und vertrieb sogar seine geliebte Hündin Lün. Am 21. September ergriff Freud, als sich Schur an sein Bett gesetzt hatte, dessen Hand und sagte: „Lieber Schur, Sie erinnern sich wohl an unser erstes Gespräch. Sie haben mir damals versprochen, mich nicht im Stich zu lassen, wenn es so weit ist. Das ist jetzt nur noch Quälerei und hat keinen Sinn mehr.“

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