Vortrag
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Berufsrollen unter Druck

Ich will im Folgenden diese kleine Geschichte analysieren, um einige professionelle Kontinentalbrüche zu beleuchten, die sich in ihr andeuten. Sie ergeben sich aus einem Gegensatz, den ich den zwischen normativen und beziehungsorientierten Helfern nenne. Es ist gar kein Zufall, dass sich der junge Vollzugsbeamte an eine Sozialpädagogin wendet. Er weiß, dass sie ein offnes Ohr für die Komik der Situation hat, das dem Nahkämpfer ebenso abgeht wie dem Vorgesetzten.
Wenn Psychologen und Sozialpädagogen im Justizvollzug angestellt werden, entstehen interkulturelle Konflikte.  Ich habe die kulturelle Grenze als die zwischen den normativen und den Beziehungs-Helfern beschrieben – beispielsweise lehnt der Staatsanwalt in einem Prozess das Gutachten eines psychoanalytisch orientierten Psychiaters ab, denn dieser habe zu der Begutachteten eine Beziehung aufgenommen. Oder er tadelt an Streetworkern, diese hätten Beziehungen zu den von ihnen betreuten Rockern unterhalten.  In der hier geschilderten Situation wird deutlich, wie einfache menschliche Fähigkeiten – wie die des Kontakts und der Überzeugungskraft des jungen Vollzugsbeamten – in einem professionell nicht geschützten Raum stören und dem Risiko der Entwertung ausgesetzt sind.

Der Vorgesetzte zeigt seine Rollenunsicherheit und greift nach einem Mittel der Justiz – es soll ein schriftlicher Akt angelegt werden. Sinnvoller wäre es, wenn er den Konflikt zwischen dem jungen Beamten und dessen Kollegen, der den Sicherheitsdienst rief, thematisiert und sich mit dem Vorgesetzten des Nahkämpfers auseinander gesetzt hätte. Indem er es nicht tat, zeigte er, dass die pädagogische Qualifikation seines Schützlings in seinen Augen unerwünscht war und dieser sie besser ablegen oder wenigstens unauffälliger verwirklichen solle.

Mich erinnert diese Szene an eine andere, die mir als Supervisor in der Krankenpflege geschildert wurde: die junge Pflegehelferin ist sehr kontaktfähig und fröhlich, sie plaudert mit den Kranken; diese freuen sich, wenn sie ins Zimmer kommt. Ihre Stationsleitung absolviert gerade eine Fortbildung in Gesprächsführung; ist aber ansonsten wegen ihrer fordernden, verschlossenen Art wenig beliebt. Sie verbietet nun der jungen Mitarbeiterin, so wie bisher mit den Kranken zu reden, das seien keine richtigen Gespräche, sie müsse sich auf ihre tatsächliche Arbeit konzentrieren.
Ein anderes Kapitel der Entprofessionalisierung deutet sich bei dem Nahkämpfer an. Wachtpersonal, gleichgültig ob an der Kaserne, im Personenschutz oder im Strafvollzug, muss eine hohe Toleranz für Untätigkeit und damit Langeweile entwickeln. Die meiste Zeit ihrer Berufslebens erfüllen hochtrainierte Nahkampfspezialisten ihre Aufgabe dann am besten, wenn sie nichts tun, aber wachsam sind für den Fall der Fälle. Ihr Risiko einer regressiven Entprofessionalisierung gleicht jenem der Feuerwehrleute, die angesichts zu langer Untätigkeit zu Brandstiftern werden.

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