Kolumnen
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Meine Beziehungsbücher

Die „Angst vor Nähe“ von 1986 war mein erstes „Beziehungsbuch“. Den Impuls, einen solchen Text zu schreiben, verdanke ich mehreren Einflüssen. Der erste ist meine eigene Geschichte.
Ich bin zweimal geschieden und kenne die Beschämung genau, wenn idealisierte Erwartungen zusammenbrechen und die Einsicht unausweichlich ist, dass es im Leben eben nicht immer glatt geht. Aber ich kenne auch den Trost, dass Beziehungsprobleme lösbar sind und die Scham abnimmt, wenn wir ein wenig Humor über die Primitivität etwa des Gedankens entwickeln, dass sich Psychologen (Psychoanalytiker gar) durch glatte Konfliktlösung auszeichnen müssten und es nicht viel wert ist, aus eigenem Scheitern zu lernen, wenn man es nicht geschafft hat, solches Scheitern von Anfang an zu vermeiden.
Das zweite Motiv ist die Beobachtung von Partnerproblemen aus meiner Arbeit als Therapeut in Familien, in Gruppen für Paare und in Einzelanalysen. Das dritte schliesslich ist ein kritischer Blick auf die Konsumgesellschaft. Die Methode des Vorgehens orientiert sich an der psychoanalytischen Tradition, die schon immer Kulturkritik und „Neurose“ verknüpfte. Dass ein solcher Versuch zum Bestseller wird, hatte ich 1986 nicht erwartet, aber es hat mich sehr ermutigt. So habe ich mich auch in der Zukunft nicht abbringen lassen, „Lebenshilfe“ nicht als Anleitung zur Anpassung aufzufassen, sondern als kritische Distanz zu Klischees jeglicher Herkunft.
Es gibt zwei Arten von moralischem Schwachsinn. Der eine ist allgemein bekannt und geächtet. Er betrifft die Gewissenlosigkeit des Soziopathen, der ohne Mitgefühl seine Kinder schändet oder seine Eltern bestiehlt. Die zweite Form des moralischen Schwachsinns hingegen verleugnet sich gern. Sie gibt sich manchmal sogar als überlegene Weisheit aus. Es ist die Variante des selbstgewissen Tugendboldes. Wo beim Soziopathen die Triebe über Einfühlung und Vernunft triumphieren, ist es beim Normopathen die Moral, mit der er die Vielfalt des Lebens, der Liebe, der Verstrickung und der Lösung erstickt. Wo ihn eine Frage beunruhigt, eine Erscheinung nicht zu seinen Normen passt, wird sie mit der Moralkeule plattgemacht.
Sigmund Freud hat uns wie kein anderer gelehrt, diese zweite Form des moralischen Schwachsinns wahrzunehmen. Das bedeutet freilich auch, dass die Psychoanalyse keine der Gewissheiten bietet, nach denen die Kosumenten von Lebenshilfe hungern. Sie eignet sich nicht dazu, etwas zu leisten, was in der globalisierten Konsumgesellschaft zum Opium der Medien geworden ist. Sie bietet keine einfachen Erklärungen und keine eindeutigen Lösungen. Die Sehnsucht nach Vereinfachung, nach Reduktion von Komplexizität gleicht der Sucht nach einer Droge. Viele von uns konsumieren dieses Gift in hohen Dosen und mit schädlichen Folgen. Da stört die Psychoanalyse. Sie wird durch Schnellmethoden attackiert, die vorgeben, sie könnten den Menschen neu programmieren, neu aufstellen, ja ihm sagen, was seine Gene ihm abverlangen und was nicht. Viele dieser Rezepte sind banal, einige geradezu Humbug, andere ebenso ehrwürdig wie simpel. Ich erinnere mich noch gut an einen Kongress zur Fortbildung von Ärzten, wo ein Redner die Lehren der stoischen Philosophen dem Publikum nahebrachte. Er nannte das kognitive Verhaltenstherapie, das wirksamste Mittel gegen Depressionen, viel besser als ein Herumstochern in der Vergangenheit, das er als Psychoanalyse auszugeben beliebte. Nun dürfte sich jeder nachdenkliche Analytiker der wissenschaftlichen Problematik seiner Theorie und Methode klar sein.

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