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Berufsrollen unter Druck

Reflexive Professionalisierung und regressive Entprofessionalisierung

Je stärker die Einflußnahme auf Menschen (im Gegensatz zur Produktion und Manipulation von Dingen) das Arbeitsfeld bestimmt, desto ausgeprägter sind die Gefahren einer regressiven Entprofessionalisierung.

Die regressive Entprofessionalisierung zeigt sich durch Strukturverluste oder funktionswidrige Überstrukturierung. Einen Beruf zu erlernen heißt auch eine Rolle zu erlernen. Solche Rollen sind in vielen modernen Berufen nicht mehr rational in allen ihren Umrissen definierbar. Neben einer Ausbildung, in der Rollenumfänge definiert und die notwendigen rationalen Strukturen verankert werden, wird in der Praxis eine kontinuierliche Reflexion notwendig, um die Gefühle des Professionellen, die weder ganz aus dem professionellen Handeln verschwinden, noch es ganz beherrschen dürfen, ebenso einzubeziehen wie zu überwachen. Eine im Grunde ständige Differenzierungsarbeit ist notwendig, um die beiden Extreme zu vermeiden, an denen die „neuen Helfer“ ihre Kompetenz verlieren: die Erschöpfung, das Ausbrennen, in dem ihre Tätigkeit zur von Kreativität, Neugier und emotionalem Engagement verlassenen Routine wird, auf der einen Seite, den Mißbrauch, in dem die Triebbefriedigung die professionelle Aufgabe zerstört, auf der anderen.
Je nach ihrem eigenen Professionalisierungsstadium weisen soziale Organisationen  ausgeprägtere oder weniger ausgeprägte Verstärkungen der Tendenzen zur Professionalisierung bzw. Entprofessionalisierung auf. Häufig finden sich dialektische Prozesse: nichtprofessionelle Organisationen versuchen, Probleme durch Professionalisierung zu lösen; professionalisierte Organisationen, die stagnieren oder schrumpfen, greifen zu Entprofessionaliserungen, um z.B. Kürzungen der verfügbaren Gelder für qualifizierte Arbeitskräfte aufzufangen. Um eine völlige Auflösung der beruflichen Rolle zu verhindern, werden verschiedene Abwehrmechanismen eingesetzt. Auf jeder Stufe der regressiven Entprofessionalisierung kann es zu Kompromißbildungen kommen, die ein Amalgam zwischen einer drohenden Auflösung der beruflichen Rolle und Gegenmassnahmen signalisieren.

Die Regression orientiert sich bei einem Entprofessionalisierungsprozess an institutionellen Modellen, z.B. dem der „idealen Familie“ (Kinderdorf, Familienunternehmen) und latenten Identifizierungen bzw. ihrer Abwehr. Regredierte Lehrer verhalten sich wie Schüler, regredierte Erzieherinnen wie Kindergartenkinder, regredierte Drogenberater wie Junkies, regredierte Krankenpflegerinnen oder Ärzte wie Patienten.

Es ist wichtig, zwischen Supervision im Sinne einer Kompetenzsteigerung und Supervision im Sinne einer Kompetenzerhaltung zu unterscheiden. Die kompetenzsteigernde Supervision ist zu Beginn eines Professionalisierungsprozesses angezeigt – zum Beispiel als Bestandteil der Ausbildung bei Psychotherapeuten oder Sozialpädagogen. Die kompetenzerhaltende Supervision hat eine vorbeugende Funktion. Sie wird besonders notwendig, wenn es Signale für eine regressive Entprofessionalisierung gibt, deren Extremtypen Burnout und Mißbrauch sind.
Auch für Supervisionen gilt das Gesetz vom Grenznutzen . Im Prinzip kann alles berufliche Handeln durch eine reflexive Professionalisierung optimiert werden. Aber die Verbesserungen sind bei den ersten Reflexionen meist erheblich größer als bei den späteren.

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