Erschienen in: Stuttgarter Zeitung, März 2009
Die Wirtschaftskrise löst Ängste aus. Darüber wird viel geredet. Aber wie lassen sich Ängste in den Griff bekommen?
Zu den großen Plagen des menschlichen Lebens gehört der Schmerz. Wenn uns etwas wehtut, sind wir sehr dankbar, wenn es wieder aufhört. Und doch ist völlige Schmerzunempfindlichkeit ein gefährliches, sehr seltenes Krankheitsbild. Die betroffenen Personen sind alles andere als glücklich mit ihrer Analgesie. Sie werden oft lebensbedrohlich verletzt, wenn beispielsweise Gliedmassen verbrennen oder erfrieren, ohne dass sie rechtzeitig gewarnt werden.
Angst ist ebenso doppelgesichtig wie der Schmerz. Aber da sie nicht aus dem Körper kommt, sondern aus der Seele, ist sie auch sehr viel schwerer einzuschätzen und sehr viel stärker durch soziale Mechanismen geprägt. Wenn wir keine Angst hätten, wären wir nicht da. Ein weithin sichtbareres Paket leckerer Proteine, das – anders als etwa die Schildkröte – ohne Panzer herumläuft, würde ohne blitzschnelle Angstbereitschaft bald zum Opfer des nächsten Raubtiers. Angst zu haben, Gefahren wahrzunehmen, rasch zu fliehen ist hilfreich für das Überleben. Wenn unsere Ahnen keine Angst vor Säbelzahntigern und Höhlenbären gehabt hätten, wären sie ausgestorben. Wenn Kinder sich nicht fürchten würden, den Schutz der Erwachsenen zu verlieren, wären die Folgen nicht anders.
Angst macht den Menschen vorausschauend, lässt ihn planen. Um Angstpatienten zu trösten, sage ich ihnen oft, dass ängstliche Menschen sehr gute Organisatoren sind und meist in der Arbeitswelt besser überleben als kühne Helden und furchtlose Siegertypen. Sie denken, ehe sie etwas unternehmen, genau über alles nach, was schief gehen kann. Mehrfach. Sie bauen vor, haben Plan C parat, wenn Plan A versagt und Plan B ebenfalls nicht funktioniert.
Aber Angst ist nur so lange hilfreich, wie sie sehend macht und nicht blendet. Wenn sie uns unterstützt, reale Gefahren wahrzunehmen, uns auf sie vorzubereiten, sie zu vermeiden, unser Handeln gut zu planen und abzusichern, kräftigt uns die Angst. Sobald sie aber den Unterschied zwischen realen Gefahren und erträglichen Risiken verwischt, wird die Angst selbst zur Gefahr. Wenn wir ihr auch dort nachgeben, wo es „nur“ darum geht, Kränkungen zu vermeiden, uns anzustrengen, ein wenig zu schwitzen oder zu frieren, kann die Angst wie ein Krake alles Leben aus einer zwanghaft erstarrten Routine pressen.