Ich wundere mich, dass sich gegenwärtig, in diesen Tagen des Weltmeisterschaftsfiebers, niemand mehr über den Verfall der Skepsis wundert – wo es doch einmal in Deutschland eine ganze „skeptische Generation“ gab, frei nach dem Soziologen Helmut Schelsky. Wer sich, wie der Autor, als Entspannungsritual spätabends durch die Fernsehkanäle zappt, der kommt gegenwärtig nicht daran vorbei, Talkshows von Sportfachleuten zu erleben. Dort wird dann über das nächste Spiel geredet. Sagen wir: Deutschland gegen Serbien! Noch Fragen, wer gewinnt? Keine. Wie hoch? 3 : 1 sagt eine Teilnehmerin, ein zweiter stimmt zu. Ex-Nationalspieler Paul Breitner setzt noch eins drauf: Sollen diese Serben überhaupt gegen uns ein Tor schießen? Nein, behauptet er in den johlenden Beifall hinein, 3 : 0 ist das Ergebnis. Klare Sache.
Am Freitag kam eine Supervisandin um zwei Uhr, als die Strassen menschenleer waren. „Tue ich Ihnen etwas an, dass wir jetzt arbeiten müssen?“ fragte sie. „Nein, ich schaue mir immer lieber die Zusammenfassungen an. Ein ganzes Spiel ist mir zu lang!“ sagte ich. „Ich glaube, es ist noch kein deutsches Tor gefallen“, sagte sie. „Das hätte ich bemerkt!“
Um drei gingen meine Frau und ich kurz spazieren. Es war sehr still in der Stadt, als läge ein Schleier über ihr. „Das fühlt sich nicht so an, als ob wir gewonnen hätten“, sagte sie. „Wir warten, bis es halb vier ist. Dann müsste das Spiel vorbei sein, dann merken wir es!“
Noch nie, hatte es am Morgen aus dem Radio getönt, hat eine deutsche Nationalmannschaft ein Länderspiel gegen Serbien verloren. Seit es Fußball gibt und Serbien, sind wir Sieger. Wir sind nicht aufzuhalten auf dem Weg nach oben!
Merkwürdig genug, hätte ich unserer Mannschaft auf dem Spielfeld den Sieg gegönnt; ihr Debakel weckte mehr Mitleid als Schadenfreude, sogar eine heimliche Hoffnung, dass der Denkzettel ihnen hilft, sich in den kommenden Spielen zu steigern. Aber ich hätte mir doch sehr gewünscht, dass die manischen Schwätzer am Rand des Spielfelds eines jener ehrwürdigen Bußrituale exerzieren müssten, in denen man sich die Kleider zerreißt und Asche aufs Haupt streut.
Was wirklich geschieht, ist ganz anders. Es gibt in diesen Tagen der Manie keine künftige Niederlage, nur künftige Siege. Die soeben mit ihren dreisten Prognosen auf die Nase gefallen sind, werden kurz schlucken und nach wenigen Minuten frech behauptet, dass wir das nächste Spiel ganz bestimmt gewinnen und gerade wegen dieser Niederlage so hoch motiviert sind, dass wir natürlich Weltmeister werden.