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Auf nicht natürlichen Wegen

Die Fertilitätsmedizin kann Paare beglücken - und überlasten

Um sicher zu gehen, dass sich eine befruchtete Zelle einnistet und ein Kind entsteht, werden meist mehrere befruchtete Embryonen eingepflanzt. In Deutschland war 2011 jedes 29. Kind ein Mehrlingskind. Vor zwanzig Jahren war nur jedes 42. Kind ein Zwilling. Erstgebärende nehmen Zwillinge manchmal gerne in Kauf; in anderen Fällen müssen die Paare wieder die Angst vor der falschen Entscheidung bewältigen: Wird es ein Kind zu viel, das die Kräfte überfordert? Oder scheitert der Versuch?

Ein geradezu unheimliches Gefühl verbindet die mit der IVF beschäftigten Paare mit dem Kühlschrank, in dem die befruchteten Eier lagern. Es ist in existenziellen Situationen nicht leicht, zwischen einem Kind und dem Etwas zu unterscheiden, das da tiefgefroren wartet, sich nicht zu fragen, wie es denn dem „Baby“ geht, das da unter lebensfeindlichen Temperaturen auf sein Schicksal wartet. Wissenschaftler sind trainiert, ihre Phantasie zu zügeln, Esoterik und Physiologie zu unterscheiden. Liebende wären nicht Liebende, wenn sie dieses Training nicht auch umkehren könnten.

„Was mache ich nur mit meinen zwanzig Babys?“ fragt die Mutter einer Dreijährigen. Die Schwangerschaft hat beim zweiten Versuch geklappt, das Kind ist gesund, der Vater unterstützt sie nach Kräften, sie hat wieder begonnen in ihrem Beruf zu arbeiten. Sie ist inzwischen über vierzig Jahre alt und hat es bisher weder übers Herz gebracht, die Miete für die Gefrierkonservierung zu kündigen, noch eine weitere Schwangerschaft zu riskieren – schon gar keine mit Zwillingen. Soll sie die noch mikroskopisch kleinen Zellen, in denen so viele Möglichkeiten, so viel Leben steckt, entsorgen lassen? Sie ist mit einem homosexuellen Paar befreundet, das sich dringend ein Baby wünscht und gerne auf ihren Vorrat zurückgreifen, eine Leihmutter beschäftigen würde. In Deutschland ist das gesetzlich verboten: ihre potenziellen Babys dürfen nur von ihr ausgetragen werden – oder sie müssen sterben.

Es ist unmöglich, die seelischen Kosten dieser Prozeduren zu messen, aber sie sind auf jeden Fall erheblich. Kritische Eltern prüfen verschiedene Zentren und Praxen, welche die (von den Kassen nicht übernommene) Dienstleistung der IVF anbieten. Sie wählen dann den Arzt, bei dem sie sich aufgehoben fühlen. Es scheint in der Tat gravierende Unterschiede zu geben: Einfühlende Ärztinnen und Ärzte, die versuchen, im Labor möglichst viel menschliche Würde zu erhalten, aber auch Kälte und technische Selbstlegitimation, welche die Betroffenen mit ihren aufgewühlten Gefühlen alleine lässt.

In Spanien, in Polen, in Tschechien haben auch Frauen eine Chance, die selbst keine Eier mehr produzieren können. Es gibt dort bezahlte Spenderinnen, junge Frauen, deren Eier nach der Hormonstimulation entnommen und mit dem Samen des Ehemanns befruchtet werden. Das Baby wächst im Bauch der Mutter, wird geboren – es ist ebenso ein Kind der Liebe wie viele andere Babys.

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