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Auf nicht natürlichen Wegen

Die Fertilitätsmedizin kann Paare beglücken - und überlasten

Belastbare und humorfähige Paare ertragen solche Zumutungen – mit Mühe. Andere scheitern an ihnen. Sie beginnen, nach Schuldigen zu suchen. Sie können sich entweder gar nicht oder erst nach zermürbenden Kämpfen darauf einigen, ob sie den Weg beschreiten wollen, den die ärztlichen Künste vorzeichnen.

Für das eine Paar ist Sex am richtigen Punkt der Eisprungkurve eine witzige Ablenkung vom Alltagstrott, für das andere eine Zwangsveranstaltung, in der Lust und Liebe auf der Strecke bleiben.

Körperlich und auch seelisch einschneidender sind die Zeugungen im Reagenzglas. Die Partnerin wird mit Hormonen behandelt, ihre Eierstöcke sollen produzieren, soviel sie können, „fast bis zum Platzen“, hörte ich von einer Betroffenen. Dann werden die reifen Eier entnommen. Damit ist das Material für die künstliche Befruchtung gewonnen, die im Reagenzglas mit dem gleichzeitig gewonnenen männlichen Samen vorgenommen wird (In Vitro Fertilisation, abgekürzt IVF). So entstehen bis zu zwanzig befruchtete Eizellen. Die meisten werden tiefgefroren. Die Gebärmutter wird durch Hormongaben vorbereitet; dann tritt der Arzt an die Stelle des Gatten, ein Instrument an die Stelle des Penis.

Ein Mann kommt zur Beratung. Seine Frau ist bereits einmal durch IVF schwanger geworden; sie will jetzt ein zweites Kind. Bisher sind die Versuche gescheitert; der Ehemann ist jetzt sehr besorgt, weil seine Frau Dinge über ihren Arzt sagt, die er nicht glauben kann. Sie beschuldigt ihren Gynäkologen, er habe sie missbraucht, und beschwört gleichzeitig den Ehemann, auf keinen Fall die Sache zur Anzeige zu bringen oder mit dem Arzt darüber zu sprechen. Was soll er tun? Ist sie verrückt geworden? Ist der Arzt, den er ganz normal findet, tatsächlich ein Bösewicht?

So krasse Reaktionen sind selten; sie zeigen aber doch, dass es dem Unbewussten nicht durchweg gelingt, die Phantasie einer ins sadistische gewendeten, sexuellen Macht des befruchtenden Arztes von seiner medizinischen Funktion zu unterscheiden. Es hängt von der Intensität der erotischen Bindung in einem Paar ab, wie und ob es solche Belastungen verkraftet.

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