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Auf nicht natürlichen Wegen

Die Fertilitätsmedizin kann Paare beglücken - und überlasten

Das ist sehr spirituell gesehen. Wir wissen genau, dass jede Schwangerschaft auch auf krummsten Wegen zu grad gewachsenen, gesunden Kindern führt. Biologisch gibt es keine halben und ganzen Wesen. Was auch immer Eltern oder Ärzte mit Samen- und Eizelle treiben und wie auch immer sie sich zueinander und zu ihrem Kind einstellen – jeder Embryo ist etwas Ganzes, nichts kann ihn zu einem Halbwesen machen.

Lewitscharoffs Zorn wirkt nicht nur alttestamentarisch, sie redet tatsächlich (und falsch) von einem drastischen biblischen Onanieverbot. Sie findet das von ihr erfundene (tatsächlich erst im 18. Jahrhundert eingeführte) Tabu gegen die Masturbation „geradezu…weise“ angesichts der ihr grotesk und widerwärtig erscheinenden Vorstellung, dass ein Mann in eine Kabine geschickt werde, um unter Umständen mithilfe von Pornographie an einer Zeugung beteiligt zu werden. Angesichts solcher Entwicklungen kämen ihr die Lebensbornheime der Nationalsozialisten harmlos vor.

Das ist sehr distanz- und humorlos gesagt. Der Sexualtherapeut wird gleich einwenden, wie wichtig ein entspannter Umgang mit Selbstbefriedigung für das Liebesleben gerade jener Paare ist, die sonst blitzschnell vom gemeinsamen Höhepunkt in die komplette Sexualvermeidung stürzen. Lewitscharoffs Polemik geht auch weit vorbei an dem Leid und dem Glück von Paaren, die auf diesem Weg Kinder bekommen.

Freilich scheint es mir nicht weniger distanz- und humorlos, nun die Autorin zu entwerten und zum Boykott ihrer Bücher aufzurufen. Ein Kind zu bekommen ist ein existenzieller Wert so gut wie eine von Respekt und Würde bestimmte Erotik. Wer behauptet, beide Werte ließen sich in der Fertilitätsmedizin problemlos verknüpfen, begegnet dem Problem wohl nicht weniger naiv als Lewitscharoff. In Paaranalysen lassen sich die seelischen Belastungen durch ungewollte Kinderlosigkeit ebenso gut erfassen wie die Gefahren für das Liebesleben, wenn Schwangerschaften durch ärztliche Hilfe erzwungen werden sollen. Dabei werden Konflikte ans Licht gezerrt, die unter glücklicheren Umständen unter einem Schleier von Scham und Unwissenheit verborgen bleiben dürfen.

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