Kolumnen
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Meine Beziehungsbücher

Wie überall, gibt es auch in der Analyse den moralischen Schwachsinn der zweiten Sorte, die dogmatische Gewissheit, was richtig ist und was falsch. Aber die meisten Analytiker sind nicht so. Die Praxis ihrer Arbeit gewinnt viel daraus, dass sie diese immer wieder neu erfinden und sich überraschen lassen. Anderes ist auch gar nicht möglich, wenn wir bedenken, wie schnell sich unsere Kultur verändert und wie wenig ihr Begriffe angemessen sind, die vor achzig Jahren geprägt wurden. Die Offenheit und ständige Weiterentwicklung der Psychoanalyse ist allen ein Ärgernis, die ausziehen, um einfache Rezepte zu gewinnen. Wer sich in die Vielfalt menschlicher Entwicklungen vertieft, erkennt bald, dass alle wesentlichen Beziehungen ambivalent sind, dass es kaum eine Entscheidung in Erziehung, Bildung oder Therapie gibt, die nicht ihre Schattenseiten hat. Dadurch ändert sich sein Vorgehen. Es verliert seine plakative Qualität und zielt eher darauf ab, Ambivalenzen, Vieldeutigkeiten, Mischungen zu dulden, als sie abzuschaffen und eine perfekte Lösung zu gewinnen. Genau diese perfekte Lösung nach dem Muster: „Ich habe recht und meine Methode ist die beste“ entspricht aber den Bedürfnissen der Konsumenten und der Massenmedien. Wer sie nicht bieten kann, wird nicht in die Talkrunde eingeladen.
Ich erinnere mich an ein Telefonat mit einem Medienvertreter, der mich in seiner Show nur zu Wort kommen lassen wollte, wenn ich für die freie Liebe und den glücklichen Seitensprung spräche. Einen Treuebefürworter hätte er schon. In der Psychoanalyse geht es immer um Wechselwirkungen und Mischungen: von Körper und Psyche, von Trieb und Kultur, von Es und Über-Ich, von poetischer Metapher und ihrer rationalen Kritik, von Intuition und Skepsis, von Suggestion und Aufklärung. In „Freuds Dilemma – Die Wissenschaft von der Seele und die Kunst der Therapie„, 1999 bei Rowohlt erschienen, habe ich die drei letzten Verwicklungen untersucht. Näher bei dem hier untersuchten Thema der Näheangst sind zwei Bücher, welche die hier begonnenen Überlegungen fortentwickeln.

Das erste handelt von den unterschiedlichen Nähe-Bedürfnissen von Männern und Frauen. „Du verstehst mich nicht!“ beschreibt unterschiedliche Einflüsse auf die frühe Entwicklung und das Selbstgefühl bei Mädchen und Knaben. Sie sagen sehr viel über den seelischen Geschlechtsunterschied und widersetzen sich gleichzeitig den biologistischen Vereinfachungen, welche die Unterschiede zwischen Mann und Frau wieder einmal „den Genen“ oder „dem Gehirn“ zuschreiben wollen, als seien das Erklärungen, die ungeachtet der Wechselwirkung mit sozialer Umwelt, Sprache und Sitte angewendet werden können.

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