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Vom Segen des Wartens

3. Die Kommunikation wiederherstellen. Je weiter ein Konflikt eskaliert ist, umso ungenauer kommunizieren die Beteiligten. Es ist ein wesentliches Element der Konfliktbearbeitung, die Kommunikation nicht abreißen zu lassen.
4. Nach neuen Lösungen suchen. Oft ist schon viel erreicht, wenn die Konfliktbeteiligten sich darauf einlassen, gemeinsam nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, statt all ihre Kraft darauf zu verwenden, ihre ursprüngliche Position durchzusetzen.

Ein solcher Prozess braucht Zeit, braucht die gemeinsame Bereitschaft aller Parteien, zu schauen und zu warten, was wächst an gemeinsamen Interessen.

Warten als negative capability

In der Schule von Melanie Klein, die sich mit der menschlichen Kränkungsverarbeitung beschäftigt, finden wir zwei Begriffe, die angesichts von impulsiven Reaktionen hilfreich sind. „Containment“ und – nach einem Text des englischen Dichters John Keats geprägt – die negative capability oder Nicht-Fähigkeit bzw. – positiv formuliert – die Fähigkeit zum Zulassen, zur Untätigkeit, zum Verzicht auf einen Beweis eigener Kontrolle über eine Situation.

Diese Positionen sind Antithesen zu der für eine gestörte Kränkungsverarbeitung charakteristischen, grundsätzlich maximalen und eskalierenden Reaktion. Diese hat ihren kulturellen Ursprung in Männergruppen mit einer extremen Konkurrenzspannung, z.B. Studenten und Offiziere im Frieden. Hier sind die Reviere so eng, dass der Kamm zum Hahnenkampf bei der winzigsten Grenzüberschreitung schwillt. Wie es bei Alexandre Dumas und Karl May zu lesen ist, kann eine Kränkung nur mit Blut abgewaschen werden. Ein falscher Blick oder ein voreiliges Wort reichen dann aus, um ein Duell auf Leben und Tod zu beginnen.
Containment meint die Fähigkeit, schnell wechselnde Affekte aufzunehmen und sie mit einem schützenden Behälter zu umgeben. Die Impulse wirken nicht sofort, sie bekommen Zeit und Raum. Wut, Enttäuschung, Begehren, alles darf sein, darf existieren, wird angenommen und aufbewahrt; der Patient kann sich darauf verlassen, dass der Analytiker es hört, annimmt, umfasst, ohne es durch Urteile oder Forderungen zu stören.

Es ist gewiss kein Zufall, dass Analytiker wie Wilfred Bion, welche den Gedanken von Keats aufgegriffen und weiterentwickelt haben, eine ausgesprochen künstlerische Auffassung der Psychotherapie vertreten. Jede Sitzung ist einzigartig und unvergleichbar. Jedesmal kommt es darauf an, ob der von Keats angesprochene Zustand erreicht werden kann, in der seelische Ereignisse so aufgenommen werden können, dass etwas Neues entsteht. Wichtig ist, die emotionalen, aber auch die wertenden Reaktionen eines Gegenübers nicht moralisch und nicht als Forderung zu erleben, baldmöglichst selbst etwas zu tun oder zu verändern, sondern sie ästhetisch auf sich wirken zu lassen und abzuwarten. Daraus wird sich dann vielleicht etwas Neues zu entwickeln.

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