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Auf dem Holzweg

Dieser Text erschien leicht verändert in der Rubrik „Zur Seele: Erkundungen mit Schmidbauer“ im Neuen Deutschland, 2./3. Juni 2018

In Norwegen gehören mit Schindeln verkleidete Kirchen aus Holz zu den Sehenswürdigkeiten. Manche stehen seit dem Mittelalter am selben Platz. So hat es den Zeitungsleser doch verwundert, über die 1971 eingeweihte Kirche in Breitbrunn am Ammersee zu erfahren, dass ihr von Holzbalken getragenes Dach einsturzgefährdet ist. Die Kirche wurde gesperrt, vielleicht wird sie abgerissen, eine Sanierung wäre sehr teuer. Schuld an der Misere ist der Leim, und der Geist der Konsumgesellschaft war hier wieder einmal mächtiger als der heilige Geist, dem die Kirche geweiht ist.
Es ist so ein verflucht praktischer Gedanke, nicht mehr aus dem natürlich gewachsenen Langholz zu zimmern, sondern maschinell aus kurzen Stücken mit Hilfe von Säge-, Fräse- und Hobel-Maschinerie eindrucksvoll mächtig wirkende Balken herbeizuzaubern, die nur dem genauen Blick verraten, dass sie aus kürzeren Stücken zusammengepappt sind. Früher gingen die Zimmerleute in den Wald und schugen selbst das Holz, das sie für die damals in vielen Regionen vorherrschenden Fachwerkhäuser brauchten. Lange Zeit versorgten Flößer und Eisenbahnen die Holzhändler und Säger. Holz ist ein wunderabrer Baustoff, es hält bei guter Pflege viele Jahrhunderte.
Heute jedoch kommt viel Bauholz nicht mehr direkt aus dem Wald oder vom Lagerplatz des Holzhändlers, sondern aus der Fabrik. Kurze Stücke, die sich von den “Holzvollerntern” ohne menschliche Arbeitskraft aus dem Wald holen und einfach auf dem LKW transportieren lassen, werden geleimt, zugerichtet, gewiss auch mit einer Garantie versehen, dass sie statisch genauso gut sind wie das so umständlich in hohen Bäumen heranwachsende Holz aus den Wäldern. Der Bauingenieur findet das praktisch, der Bauherr versteht nichts von der Sache, die Baubehörde ist auf der Seite der Ingenieure und Fabriken, alle glauben an den Fortschritt, bis – wie 2006 in Bad Reichenhall geschehen – eine Eissporthalle einstürzt und 15 Menschen unter den Trümmern ums Leben kommen.
In Breitbrunn sind die Träger der Dachkonstrution mit einem ähnlichen Leim verklebt. Inzwischen ist klar geworden, dass ein Dach, das sich bald durch Sonnenstrahlen aufheizt, bald dem Kondenswasser ausgesetzt ist, dem verwendeten Holzleim im Lauf der Zeit seine Klebekraft raubt. In Bad Reichenhall wurde nach dem Unglücksfall über viele Jahre hin prozessiert; am Ende gab es eine Bewährungsstrafe für einen identifizierten Sündenbock.
In den Berichten steht dann nur zu lesen, es sei der falsche Leim gewesen, nicht ein Holzweg in der Holzwirtschaft.

Die Geschichte über das Leimholz ist ein Lehrstück über die Bereitschaft, die Gefahren industrieller Neuerungen nicht den Profiteuren, sondern den Nutzern aufzubürden. Wer dem Versprechen vertraute, dass er vergleichbare Qualität billiger haben kann, als sie das traditionelle Handwerk liefert, muss umständlich nachweisen, dass es nicht seine Schuld ist, wenn etwas schiefgeht. Selbst wenn ihm das gelingt, wird nicht der Produzent in die Haftung genommen und das Handwerk wieder in seine Rechte eingesetzt. Alle reden von dem falschen Leim und dem Versagen einer ordentlichen Leimkontrolle an den exponierten Stellen der Holzdächer, keiner davon, dass mit gewachsenem Holz und ordentlicher Handwerksarbeit ein solches Unglück nicht nur nicht passieren kann, sondern auch die Nutzer der Gebäude von den Ausdünstungen der Chemie verschont bleiben.
Denn das ist der zweite Skandal hinter dem ersten: die Holzindustrie arbeitet überall mit Leimen, Lösungsmitteln, Fungiziden und Pestiziden, welche die Nutzer bis heute belasten. Eine funktionierende Holzverwertung, die Umwelt und Gesundheit gleichermaßen schonte, ist ohne Bedenken, ohne Einwände durch Kontrollgremien durch eine ebenso unzuverlässige wie latent toxische Industrie ersetzt worden.
Können wir aus solchen Entwicklungen lernen? Was ist heute der Leim, der verspricht, uns eine bessere Welt zu kleben und sich dann auföst, bis uns die Decke auf den Kopf fällt? Sind es die sozialen Medien, die mit ihren likes gute Politik und gute Kunst aus Fragmenten pappen? Wir wissen es heute noch nicht, aber eines können wir mit großer Sicherheit vorhersagen: wenn das Gebäude einstürzt, wird es keiner gewesen sein.

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