Vortrag
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Das Unbewusste und der Wald

Vortrag auf der Tagung: Blätterwald – Wald in den Medien

Interessant ist nun, dass die Beschäftigung mit dem Unbewussten in menschliche Ur- und Vorzeiten, in die Welt von Totem und Tabu führt. Wir können etwas pointiert sagen, dass das Unbewusste entdeckt wurde, als die Wissenschaft erfolgreich begonnen hatte, die Welt zu entzaubern und Bereiche technisch beherrschbar zu machen, die bisher unkontrollierbar waren. Parallel dazu können wir feststellen, dass der Urwald für die Menschen, die in ihm leben, gewiss niemals ein Gegenstand der Forschung war.

Das Verständnis vom Wald als etwa besonders Schönem, als Symbol für Waldeinsamkeit, Freischützidylle und Eichendorfflyrik, entstand in der Romantik, als die meisten Wälder schon gerodet waren. Es entstand in den Städten, wo die Naturbegegnung eine Möglichkeit wurde, sich von kleinbürgerlicher Enge zu befreien. Schiller hat in den „Räubern“ diesen Zusammenhang von Freiheit und freier Natur zuerst hergestellt; zahllose Dichter sind ihm auf diesem Weg gefolgt, erhabene, wie die Romantiker und Adalbert Stifter und triviale, wie Karl May, Felix Salten, der Bambi, und Edgar Rice Burrougs, der den Affenmenschen Tarzan erfand. Alle Waldepen, Waldbilder, Waldmythen, in denen Mensch und Natur verschmelzen, sind an wohlbehüteten städtischen Schreibtischen entstanden.

Der Wald symbolisiert in der Landschaft das Unbewusste, weil er in Mitteleuropa gewissermaßen das „Es“ ist, der Zustand, der eintritt, wenn wir mit einem Stück Land nichts machen. Das „Es“ wird in der Zivilisation kultiviert, d.h. von anderen seelischen Schichten überformt. Wir bilden ein Ich und ein Über-Ich. Aber das „Es“ ist der Ursprung unserer Person, der Mutterschoss. Analog dazu enthält der Wald neben dem Versprechen der Geborgenheit auch die Gefahr, nicht aus ihm herauszukommen, sich zu verirren, in ihm gefangengehalten zu werden.

Im Märchen (etwa „Eisenhans“) tritt der Wald als eine Welt auf, in der sich ältere geistige Formen erhalten haben, in der die Magie noch wirksam ist und der man sich nicht nähern darf, ohne eine Verwandlung zu riskieren. Wie alle Urmächte ist auch der Wald beides: bedrohlich und lebensspendend, schöpferisch und tödlich, eine Gefahr für den Unvorsichtigen und eine Lebensquelle für den, der ihn achtet und erkennt.

Man ist versucht, Schopenhauers Stachelschwein-Gleichnis auf die menschliche Beziehung zum Wald zu übertragen. Dieses Gleichnis ist ein wunderschönes Bild über die Probleme, die wir Menschen mit dem Kontakt zu unseresgleichen haben. Schopenhauer beschreibt eine Gesellschaft von frierenden Stachelschweinen, die eng aneinanderrücken, um sich gegenseitig zu wärmen. Aber dabei stechen sie sich so schmerzhaft, dass sie wieder auseinanderrücken, worauf sie wieder zu frieren beginnen, bis sie schliesslich eine mittlere Position gefunden haben, die ihnen hilft, beide Unbehaglichkeiten möglichst zu vermeiden und so zu relativer Behaglichkeit zu finden.

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