Vortrag
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Das Unbewusste und der Wald

Vortrag auf der Tagung: Blätterwald – Wald in den Medien

Für den Jäger ist der Wald Ort der Beute, Garten seiner Wünsche; über ihm streuen die Bäume ihre Fruchtbarkeit aus, und wenn von tausend Eicheln nur eine keimt, von tausend gekeimten Eichen nur eine selbst Frucht tragen wird, dann ist das eben das Gesetz und die Ordnung des Waldes, hart, aber gerecht, eine vorzügliche Übung für den Lebenskampf und gar kein Grund sich aufzuregen. Man muss sich demgegenüber nur der Zorn des Ackerbauern vorstellen, wenn von tausend Getreidekörnern, die er gesät hat, nur eines Frucht trägt, weil die anderen von Wildschweinen aus der Erde gewühlt und gefressen wurden.

Ich habe viele Jahre immer wieder in einem Haus in der Toskana gelebt, das anfangs von Feldern umgeben war und einen weiten Blick in die Ferne hatte. Die Felder bedeckten sich mit Gestrüpp, dann mit Wald, es wurde dunkler, es kamen Pflanzen – wie der Holunder – die es bisher nicht gegeben hatte, während die Obstbäume und Oliven starben. Der Wald eroberte zurück, was er verloren hatte.

Wer solche Erfahrungen macht, ahnt etwas von der Bedrohung, die vom Wald ausgeht. In Mitteleuropa setzt er sich, von wenigen Ausnahmen (wie dem Hochgebirge oder den Sanddünen an der Küste) abgesehen, überall durch, wo der Mensch nicht gegen ihn wirkt. Er ist die natürliche Vegetation unserer Klimazone. Wenn ich ein Grundstück einzäune und nach zwanzig Jahren wiederkomme, steht dort ein Mischwald. Wer in deutschen Vorgärten sieht, wie Blaufichte, Latsche und Wacholder ein Haus bedrängen und verfinstern, kann die instinktive Reaktion der Besitzer auf die Ungeborgenheit des Landstreifens rekonstruieren, als sie in ihr Häuschen zogen. Sie pflanzten in dieser Not möglichst viele schützende Koniferen. Die Blaufichte, dieses niedliche Weihnachsbäumchen, bedroht inzwischen das Dach.

Hier wiederholt sich im Kleinen, in umgekehrter Reihenfolge das Wechselspiel zwischen Rodung und Forstung. Sobald der Mensch die Unschuld der altsteinzeitlichen Kultur verloren hatte und begann, zu züchten, zu säen und zu ernten, störte ihn der Wald – er bot dem Vieh zu wenig Futter und dem Getreide zuviel Schatten. Also wurde gerodet und gereutet. Wo die Mittel fehlten, Bäume zu fällen, entrindete man sie nur und pflanzte das erste Jahr in den lichten Schatten der laublosen Riesen. Wenn die Stämme getrocknet waren, legte man Feuer an sie.

Astronauten haben berichtet, dass sie aus ihrer im All kreisenden Station nur zwei von Menschen gemachte Erscheinungen mit bloßem Auge wahrnehmen konnten: die chinesische Mauer und die Brandrodungen im tropischen Urwald. Beide dienen dem Schutz vor einer vermeintlichen Übermacht: der räuberischen Reiter des Nordens und der Baumriesen in den Tropen, die den Menschen in ihrem Schatten versklaven und verzwergen, wenn er nicht gegen sie kämpft. In den letzten dreißig Jahren ist ungefähr die Hälfte des Regenwaldes im Tropengürtel der Erde gerodet oder verbrannt worden. Die Folgen für das ökologische Gleichgewicht kündigen sich an.

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