Der Mensch verdankt seine Intelligenz zum guten Teil den werkzeugschaffenden, geschickten Händen. Die freiwillige, selbstgesteuerte, die von wohlmeinenden und kundigen Eltern dem Kind auferlegte Handarbeit ist ein unverzichtbares Mittel, unseren Kontakt mit der Wirklichkeit zu verbessern, unsere Triebenergie in konstruktive Bahnen zu lenken und unsere Persönlichkeit zu entwickeln.
Die Bewertung von Handarbeit als „primitiv“ und geistesfern, die seit dem griechischen „Banausos“ für den Handwerker im abendländischen Denken nachweisbar ist, erscheint unter diesem Gesichtspunkt nicht nur töricht, sondern auch gefährlich. Sie gehört in eine vorindustrielle Epoche, in der es noch keine Kraftmaschinen gab, alle Menschen gehen oder reiten mussten und die Lebensform einer couch potato von heute undenkbar war. Der Mensch braucht ein gewisses Maß an körperlicher Anstrengung , um gesund zu bleiben. Für den Künstler ist der Widerstand der Materie ein ganz wesentlicher Anstoß von Kreativität. Handarbeit erfüllt Körper und Geist. Sie befriedigt beide, vor allem der Wechsel von Hand- und Kopfarbeit, bei dem die Kopfarbeit Ausruhen von der körperlichen Belastung bietet, die Handarbeit Regeneration der einseitigen Konzentration. Bewegung ist ein Lebenselixier. Wir sind nicht zum Sitzen geboren, sondern zur Tätigkeit, zum Sammeln und Jagen, zum Basteln und Probieren.
Handarbeit, die menschliche Gesundheit erhält, muss allerdings eine Bedingung erfüllen: sie muss als sinnhaft erlebt werden. Der amerikanische Sozialphilosoph Richard Sennett veröffentlichte 2008 ein Buch mit dem Titel Handwerk. Er beklagt, dass sich Akademiker in der Regel zu wenig auf die Welt der Dinge und die Bedeutung der Hände für den Kopf einlassen. Das handwerkliche Ethos guter Arbeit geht nicht allein dann verloren, wenn Menschen Maschinen zuarbeiten müssen und sich selbst auf einige immer gleiche Handgriffe reduziert sehen. Diese bereits von Karl Marx beklagten Entfremdungen der Arbeit in der Fabrik sind weitgehend aus den reichen Industrieländern verschwunden. Sie plagen jetzt die Entwicklungsländer.
Gegenwärtig hat die Konkurrenz um eine immer bessere Ausbeutung unserer Neigung zur Bequemlichkeit und zur Größenphantasie die menschliche Intelligenz dazu gebracht, möglichst viele Maschinen zu erfinden, die Hand, Kopf und Geist lähmen.
Wer Produktentwicklungen verfolgt, erkennt zwei Götzen, denen sie sich unterwerfen: Zeitersparnis und Atrophie von Muskulatur und Sinnestätigkeit. Dieser Raub an Lebenswichtigem wird durch das Versprechen legitimiert, wir hätten durch diese Erleichterungen Zeit gewonnen. Allerdings werden Sinnerleben und wohltuende Übung unseres Organismus nicht automatisch mit der Zeitersparnis mitgeliefert. Gesunde Menschen werden im Gegenteil so lange wie Behinderte behandelt, bis sie tatsächlich behindert sind. Wer lernt, ein Auto zu schalten, braucht kein Automatikgetriebe; er gewinnt dieser Tätigkeit oft das Gefühl eines engeren Kontakts zu seinem Fahrzeug ab. Wer aber von Anfang an das Fahren mit Hilfe eines automatischen Getriebes erlernt, findet es „gefährlich“, zu dem handgeschalteten Auto zurückzukehren. Der Schaltvorgang strengt ihn an, lenkt ihn ab, ist unbequem.
Wer erst einmal anfängt, die manuellen Beraubungen in der entwickelten Konsumgesellschaft zu erforschen, findet viele Beispiele. Die Handkurbel, um ein Auto anzuwerfen, der Trethebel, mit dem ein Motorrad gestartet werden kann – sie alle wurden durch „bequemere“ Lösungen ersetzt, die uns nicht nur einer Möglichkeit zur körperlichen Tätigkeit berauben, sondern Rohstoffe vergeuden und uns von störanfälligen Energiequellen abhängig machen.