Moderne Eltern kommen nicht mehr mit den pädagogischen Techniken aus, die in traditionellen Gesellschaften problemlos funktionierten. Daher werden sie durch autoritäre Ratschläge nur noch mehr verunsichert. Die Bedeutung und die Macht der Eltern sind geschwunden; gleichzeitig sollen sie mehr leisten. Woher sollen sie die Kraft dafür nehmen?
Unsere durchschnittliche emotionale Belastbarkeit für das Quengeln geliebter Kinder ist in der Welt der Jäger und Sammler verwurzelt, in der es grundsätzlich nicht viel von wenig gibt − keine abgepackten Süßigkeiten, kein Werbefernsehen, kein fertiges Spielzeug im Schaufenster, keinen Bilderzauber auf Knopfdruck. In einer traditionellen Welt sind Kinder meistens hungrig und freuen sich über alles, was sie bekommen können; ihr einziges Vorbild sind die Menschen um sie herum, von denen jeder etwas tut, was den Kindern einleuchtet, und sie durch Nachahmung lernen lässt, ihren Beitrag zum Überleben der Gruppe zu leisten.
Heute müssen wir unsere Kinder geschickt an den regressiven Versuchungen einer Welt vorbeilenken, in der es zu viel von allem gibt. Das ist jede Mühe wert, aber es sollte auch klar sein, dass es weder einfach ist noch jemals vollständig gelingen kann. Die Rede vom kleinen Tyrannen schiebt ein komplexes Problem der Konsumgesellschaft ihren schwächsten Mitgliedern (den Kindern) in die Schuhe und verlangt von den am meisten überlasteten Mitgliedern (den Eltern), sie sollten es abstellen.
Kinder sind für viele Jahre die wichtigste Aufgabe im Leben der Eltern. Unsere in der Familie geweckten Gefühle passen freilich besser in eine Zeit, in der die durchschnittliche Lebenserwartung rund vierzig Jahre betrug, in der weder die Eltern die Aufgabe hatten, die Aufmerksamkeit eines Kindes zu bändigen und zu lenken, noch Kinder an der Schwelle zu ihrem eigenen Ruhestand die dementen Eltern pflegen mussten.
Wer beruflich mit den Konflikten zwischen erwachsenen Kindern und deren Eltern zu tun hat, die so oft an Weihnachten virulent werden, der denkt wehmütig an das übliche Säugetierverhalten, in dem es einfach keine erwachsenen Kinder gibt, sondern nur Kinder oder Erwachsene. Wenn das Kalb zur Kuh oder zum Stier geworden ist, werden es alle anderen Kühe und Stiere ohne jede zärtliche Erinnerung, aber auch ohne jeden nachhaltigen Anspruch beobachten. Sie werden keine seelische Nähe erwarten, aber auch nicht mit Kontaktabbruch drohen.
Die menschliche Kultur kann nicht existieren, ohne dass wir weitergeben, was wir gelernt und geerbt haben – Sprache, Sitte, Haus und Hof. Aber das sind keine Liebesdienste, sondern Aufgaben. Eltern müssen nicht perfekt sein, sondern nur gut genug, damit ihre Kinder überleben, mit der Welt umgehen und schließlich selbst Kinder bekommen. Das Christkind in der Krippe ist ein Symbol für diesen Anfang, für seine Nähe zum Animalischen und sein Ausgreifen ins Geistige, ein Zeichen dafür, dass Liebe ganz einfach sein kann und vielleicht auch eine Mahnung, sie durch perfektionistischen Erwartungen nicht komplizierter zu machen als unbedingt nötig.
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