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German Angst?

Die Messehallen erinnerten an einen Ameisenhaufen. Kaum eine Ameise wusste von den Absichten und Zielen der anderen. Da rund 60 000 Neuerscheinungen vorzustellen waren, vermutete ich in vielen dieser Ameisen einen Autor wie mich selbst und stellte mir vor, er trüge „sein“ Buch bei sich, wie die rote Waldameise eine Fichtennadel in ihren Kiefern trägt, um die Ameisenburg höher zu bauen.

Jeder Reporter, der mir während meines Besuchs auf der Frankfurter Buchmesse über den Weg lief, wollte etwas über sie wissen: die German Angst. Und ich wollte dazu etwas sagen, schliesslich ging es darum, mein neues Buch über das „Lebensgefühl Angst“ vorzustellen. Sind wir Deutschen ein besonders ängstliches Volk? Handy gegen Trennungsangst Jeder ist jederzeit potenziell via Handy erreichbar – wer also muss noch Trennungsangst ertragen? Gegen Einbruch, Diebstahl, Krankheit, Unfall, Hagelschlag, Glasbruch, gegen die Explosion unseres Heizkessels, den prozesswütigen Nachbarn und den Verlust unserer Zahnprothese sind wir versichert. Laufen aber missmutiger durch die Strassen als die Armen im Jemen oder in Brasilien. Das drücken auch unsere Statistiken aus, nach denen hierzulande jeder zehnte Mensch zugibt, an mindestens unangenehmen, jeder zwanzigste an ernsthaft das Leben einschränkenden Ängsten leidet.

Aber das ist kein deutsches Problem. Dieselbe statistische Aussage gilt für die EU oder die USA. Vielleicht sollten wir erst einmal die Versuche kritisieren, Angst zur Krankheit zu machen und uns Tranquilizer als Gegengift zu verkaufen. Etwa 10 Prozent der erwachsenen Menschen in Deutschland schlucken Psychopharmaka. Frauen tun das dreimal häufiger als Männer. Mehr als die Hälfte der verordneten Psychopharmaka sind Mittel mit einer hohen Suchtpotenz, die eigentlich nicht länger als höchstens vier Wochen am Stück verordnet werden dürften. Es handelt sich um die sogenannten Benzodiazepine, die unter einigen Dutzend Warenzeichen (z.B. Valium, Tavor, Lexotanil) vertrieben werden und kurzfristig sowohl Ängste lösen wie Schlafstörungen beseitigen. Angst ist harmlos Angst ist an sich harmlos. Sie entstammt natürlichen Wurzeln, ist biologisch sinnvoll. Sie kann zwar nicht von einem Kind, aber von einem einsichtigen Erwachsenen bewältigt werden – vorausgesetzt, wir erleben sie bewusst, gestehen sie uns ein, nehmen sie als Teil unserer kreatürlichen Ausrüstung und geben ihr nicht mehr Macht, als ihr zusteht. Viele gefährlicher als die Angst ist die Illusion einer Welt die uns und anderen garantiert angstfreie Räume verheisst.

Demagogen, welche die menschliche Angstneigung ausnützen, haben schon immer versprochen, dass wir keine Angst mehr haben müssen, wenn wir sie dabei unterstützen, unsere gegenwärtigen Ängste in Gewalt umzusetzen und alle aus dem Weg räumen, auf die wir diese Ängste projizieren. Die Angst ist mächtiger und einflussreicher geworden, weil wir mehr und wirksamere Wege finden zu meinten, sie zu besiegen oder ihr zu entgehen. Früher hatten wir, um ein Beispiel zu nennen, dann Todesangst, wenn eine Ader platzte oder ein Knochen brach. Heute müssen wir zittern, wenn wir auf das Ergebnis einer Vorsorgeuntersuchung warten, die in wenigen Minuten subjektives Wohlbefindens in sein Gegenteil verwandeln kann.

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