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German Angst?

„Die Ängste, die das Weniger weckt, sind gerade auch die Kehrseite jenes deutschen Neugründungswunders nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus den moralischen und materiellen Ruinen erschuf Deutschland eine blühende Wirtschaft und eine demokratische Gesellschaft. Damals entstand die Vorstellung des ewigen Mehr – bezüglich Bildung, Demokratie, sozialer Sicherheit, gesellschaftlicher Prosperität und Frieden mit allen.“ Als hätte er diese Analyse des Soziologen Ulrich Beck rhetorisch umgesetzt, hat wenig später Bundespräsident Horst Köhler in einer „aufrüttelnden“ Rede versucht, den Geist des VW-Käfers der Nachkriegszeit angesichts der Privilegiengier und Reformvermeidung der Gegenwart zu beschwören.

Damals lebten die Menschen in Ruinen und mussten sie wieder aufbauen, wenn sie nicht arm bleiben wollten. Seither hat der Wohlstand so zugenommen, dass nach der WHO-Definition über die Hälfte der Menschen, die sich 1980 noch normal fühlten, im Jahr 2000 arm wären (denn arm ist nach dieser Definition, wer nur 50 Prozent des Durchschnittseinkommens verbrauchen kann). Die kreatürliche Angst legt immer nur einen Weg nahe: den aus der Gefahr in die Sicherheit. Wer uns anlügt und Sicherheit verspricht, dem glauben wir lieber als dem Aufrichtigen. Politiker, die sichere Renten garantieren, werden gewählt. Politker, welche die Wahrheit über die Zukunft einer komfortablen Alterssicherung für alle sagen, werden nicht gewählt. Die Konsumgesellschaft ist reich an Dingen und an Möglichkeiten, sich öffentlich zur Geltung zu bringen. Damit entstehen auch viele Gefahren von Verlust und Kränkung.

Aber das ist nur die eine Seite der wachsenden Ängste. Sie gelten allgemein für alle hochentwickelten Gesellschaften und führen zu strukturellen Gemeinsamkeiten in diesen, beispielsweise zum Bestreben, sich gegen möglichst viele Risiken zu versichern. Eine zweite, mindestens ebenso wichtige Seite betrifft die Vermittlung von Werten zwischen den Generationen und in den Familien. Hier kann ich die einzige Quelle einer spezifisch deutschen Angst erkennen. Deutschland hatte den Zusammenbruch von einer (im Westen) oder gar zwei Diktaturen zu verkraften. Generationen haben an Glaubwürdigkeit verloren. Erweist sich ein zunächst idealisiertes System gesellschaftlicher Werte später als menschenverachtend und verbrecherisch, können die beteiligten Eltern nur noch wenig Begeisterung und innere Haltung vermitteln. Was sie weitergeben, ist vor allem ihre Angst, Fehler zu machen, etwas Schlechtes zu tun. In Deutschland war der Verlust an Wertvertrauen und Wertzuversicht durch den Missbrauch fast aller nationalen (Vaterlandsliebe, Treue, Stolz) und zum Teil auch männlichen (Mut, Zuversicht, Begeisterungsfähigkeit) Werte durch die NSPropaganda dramatisch. Eine ganze Elterngeneration hat in unterschiedlichen Ausprägungen von Resignation, Nostalgie und materialistischem Erfolgsdenken ihren Kindern nur wenige gelebte und lebendige Ideale anbieten können. Was gegenwärtig an Ersatz produziert wird – „Wir sind Papst!“ oder „Du bist Deutschland!“, wirkt eher kläglich.

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