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Und sowas von müde…

Aber das Baby weckt schlummernde Kräfte, die in unberechenbarer Weise gegen die erotische Faszination zwischen Mann und Frau wirken. Die Folgen erinneren manchmal an die Berichte mittelalterlicher Reisender vom Magnetberg. Er entfaltet eine unwiderstehliche Anziehung. Wenn eine Barke zu dicht an ihn heransegelt, reisst die magnetische Kraft die Nägel aus den Planken; das Schiff löst sich auf oder zerschellt an den Klippen. Ganz ähnlich reisst das Baby die unsichtbaren, symbiotischen Bindungen aus der Beziehung an sich. Es stellt höchste Ansprüche an sprachlose Einfühlung und Kränkungsverarbeitung; für den Partner bleibt wenig – zu wenig. Florians Müdigkeit, sobald er in Betsys Nähe kommt, drückt Rückzug aus, eine primitive Selbstversorgung. Er stellt sich sozusagen schlafend, bis ihn am nächsten Morgen der Kuss einer interessanten Aufgabe wieder weckt.

Geschüttelt, nicht gerührt

Die Müdigkeit der Väter lässt zwar Frauen und Kinder unzufrieden zurück, schützt diese jedoch auch vor Schlimmerem. Jährlich sterben in Deutschland sicher einige hundert Babys an einem Schütteltrauma. Entdeckt werden nur die wenigsten Fälle. In einer Grossstadt wie München sind es fünf bis acht pro Jahr. Früher wurden diese Kinder mit der Diagnose „Plötzlicher Kindstod“ als tragische Opfer jäh aufgetretener Infektionen gesehen. Erst die Kernspintomographie ermöglicht eine Diagnose. Sie wird nur in Ausnahmefällen gestellt, denn der Gedanke will niemandem in den Kopf, dass diese erschütterten Eltern, die alles nur gut machen wollten, den Tod ihres Babys verursacht haben sollen.

Es ist die dritte Ehe des 47jährigen Vaters, eines Managers, der im Herbst des Jahres 2007 in München-Stadelheim in Untersuchungshaft sitzt. Nach zwei fast erwachsenen Kindern aus erster Ehe hat er sich noch einmal beweisen wollen, dass ein moderner Vater genauso gut für seine Kinder sorgen kann wie die Mutter, eine Psychologin, die ihm vor sieben Monaten Zwillinge geboren hat. Er hat den Beruf zurückgestellt, um sie zu entlasten; beide haben sich die Aufgaben so geteilt, dass sie tagsüber für die beiden Mädchen zuständig ist, er nachts.
In einer dieser Nächte kann der Vater den Schlaf seiner Frau nicht mehr beschützen. Er weckt sie um drei Uhr morgens: Eines der Babys liege so merkwürdig schlaff in seinem Bettchen. Als der Kinderarzt kommt, ist das Kind bereits klinisch tot, kann aber reanimiert werden, kommt in die Intensivstation einer Kinderklinik und stirbt dort nach wenigen Stunden. Die Obduktion ergibt eine Gehirnblutung mit entsprechendem Gehirnödem. Die Ursache: Ein Schütteltrauma.

Bei Babys ist die Nackenmuskulatur noch so wenig entwickelt, dass sie den Kopf aus eigener Kraft nicht halten können. Doch sind Blutgefässe und Nerven so elastisch, dass in der Regel nicht viel passiert, wenn jemand einen Säugling ungeschickt trägt, so dass sein Köpfchen wegsackt. Es gehören die Wucht und der Zorn eines psychisch überlasteten Erwachsenen dazu, um dem Baby das anzutun, was in den gerichtsmedizinischen Berichten als Schütteltrauma beschrieben wird.

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