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Unsere Kindersoldaten

Parallel zum Siegeszug der optischen Medien lebt jeder junge Mensch in einem ständigen, gnadenlosen Vergleichsdruck. Die Jungs und Mädels in den Soaps sind viel besser drauf und viel schlagfertiger. Der Konkurrenzdruck weckt Gefühle ständiger Niederlagen. Lehrer klagen über unruhige Schüler, die immer mehr Lob und Aufmerksamkeit haben wollen, als sie kriegen können. Viele Kinder sind chronisch gekränkt. Die meisten ertragen das mit knapper Not. Aber in jeder Klasse gibt es ein paar Tabletten- oder Drogenabhängige, es gibt welche, die unter der Bank ihre Softair-Waffe zeigen, andere, die sich ihr Schönheitsideal erhungern wollen oder im Alter von sechzehn Jahren kosmetische Operationen planen.

Deutschland sucht ständig den Superstar, das Topmodell. Wer nicht mithalten kann, gerät in Gefahr, seine Enttäuschung an denen auszulassen, die noch weniger mithalten können. Beschimpfungen, Entwertungen, Mobbing in jeder Form sind in Schulklassen Teil des Alltagsverhaltens. Wenn Eltern die Intensität dieser Kämpfe mitkriegen, erschrecken sie, beschwichtigen, schauen weg.
Salpeter ist ein harmloses Kalium-Stickstoff-Salz, auch als Kunstdünger verwendbar. Erst wenn er mit Schwefel und Holzkohle (im Verhältnis 75 zu 10 zu 15) vermischt wird, entsteht ein explosives Gemisch. Stellen wir uns also einen chronischen Verlierer vor, der niemals eine der Schönheitskonkurrenzen im Klassenzimmer gewonnen hat; ein leidenschaftlicher Spieler von Counterstrike ist und weiß, wo der Papa seine Beretta oder seine Glock samt Munition aufbewahrt.
Schiesspulver ist harmlos, so lange wir es kühl lagern. Wenn wir etwas Wasser draufschütten, wird es unbrauchbar und explodiert nicht mehr. Aber wenn ein Funke drauf fällt, kann seine Zerstörungskraft enorm sein.

Viele der chronisch gekränkten, auf ihre erfolgreicheren Kameraden neidischen Jugendlichen, die Gewaltspiele lieben und eine Schusswaffe haben, tun niemandem etwas zuleide.
Aber es gibt einen gefährlichenFunken: die reißerischen, zur Identifizierung mit solchem blutig-bösen Heldentum verlockenden Berichte in den Medien, durch die ein namen- und bedeutungsloser junger Mann plötzlich alles zu bekommen scheint, was er ersehnt: Rache an denen, die ihm das Licht weggenommen haben, unsterblichen eigenen Glanz. Dass ein solches Unternehmen das Leben kostet, wird viele zurückhalten und dazu bringen, dass sie den Funken wieder auslöschen, bevor er die Explosion zünden kann. Die künftigen Amoktäter aber beginnen, ihn zu hegen und zu pflegen, sie planen und rüsten zu ihrem ersten und auch letzten Auftritt, der sich eine Bühne erzwingt, die sie mit niemandem teilen müssen.

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