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Die verletzte Narzisse

Erfolgreiche Musik für das Pop-Publikum zu machen ist Selbstdarstellung und Industrie zugleich. Diese Arbeit festigt das Selbstgefühl. Aber was tun, um nach dieser Arbeit zu entspannen, ohne an phantasierter Grösse einzubüssen? Jetzt rächt sich das der Karriere geopferte Privatleben. Niederlagen im Beziehungsleben inszenieren in einem extrem hoch gespannten Selbstgefühl panische Ängste, gänzlich zu scheitern. Um diese Angst zu bekämpfen, werden Drogen unentbehrlich – Alkohol, Koks, Speed. Sie führen dazu, dass ein überangepasstes Kind, das alles tat, um zu gefallen, in seiner Verzweiflung auch probiert, eine böse Göre zu sein. Aber die Wut gegen das vom Glanz verwöhnte Publikum, das in diese Falle gelockt hat, verstärkt nur die Angst: Mit dem Erfolg ist dieses Leben Mist; ohne ihn noch viel mehr.
Therapie, Prognose? Britney Spears hat viel aufzuarbeiten, aber sie hat auch viele Talente. Musiker können oft ein Stück mehr Verrücktheit integrieren als Menschen ohne diese Ausdrucksmöglichkeit. Auf der anderen Seite ist die primitive Grössenphantasie ein ernstliches Therapiehindernis. Wer alle die Misserfolgszwerge um ihn herum überragt, kann sich doch nicht von ihnen beibringen lassen, wie man eine verlässliche Mutter ist und so Auto fährt, dass man den Führerschein behält.
Der Weg in die Gesundheit ist deshalb so schmerzlich, weil er ein Schrumpfungsprozess ist. Er verlangt zu erkennen, dass kein Übermensch ist, wer seine Lieder erfolgreicher verkaufen kann als alle anderen. Britney Spears müsste lernen, ihre Arbeit als Sängerin ernsthaft zu entwickeln und sich dort zu kritisieren, wo sie auch Stärken hat, um überhaupt zu ertragen, dass sie nicht rundum die Grösste ist.
Dann kann sie den Halt gewinnen, ihre Ängste zu ertragen. Der Joker in dieser Entwicklung sind die Drogen. Sie sind ein teuflischer Verstärker der narzisstischen Störung, machen aus harmloser Selbstüberschätzung pathologische Entgleisungen. Wer sich benebelt, kann nicht lernen. Er kann Erfahrungen nicht verarbeiten und muss Fehler wiederholen, weil der letzte Zusammenbruch des Selbstgefühls – Oops – war da was? schon wieder verschwundenen ist.
Eine Entziehungskur und die Arbeit an einem neuen Album genügen nicht, um Britney Spears eine günstige Prognose zu stellen. Viele Süchtige können sich für kurze Zeit disziplinieren, wenn sie ein ehrgeiziges Ziel erreichen wollen. Aber sie halten nicht durch, so lange sie sich ohne Gift nicht entspannen, ihr Leben nicht geniessen können.
Drogen löschen Reifungsschritte. Für jedes mit Hilfe von Rauschmitteln überstandene Jahr müssen vom Lebensalter zwei abgezogen werden, um ein realistisches Bild der Persönlichkeit zu gewinnen. So gesehen, ist Britney trotz ihrer inzwischen 25 Jahre psychisch wieder 17 – Baby one more time.

Veröffentlicht im SZ-Magazin, 2007

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