Kolumnen
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Die Wermut-Methode

Einige Beispiele, die solche Gedanken nahelegen:
Die Mutter des dreißigjährigen, alkoholkranken Sohnes ist völlig erschöpft. Sie kann nicht mehr durchschlafen, weil sie Angst hat, er werde wieder anrufen und erklären, er sei am Ende, habe kein Geld, der Wirt wolle ihn wegen Zechbetrugs anzeigen, ob sie ihn nicht auslösen könne, bestimmt das letzte Mal!

Die Enkel wachsen praktisch bei der Oma auf. Diese ist völlig erschöpft, die Arbeit ist ihr einfach zu viel, obwohl sie die Kleinen liebt. Die Mutter ist nicht nur berufstätig, sie will unbedingt Karriere machen. In dem gemeinsamen Familienurlaub in einem schönen Ferienhaus, das die Oma gemietet und bezahlt hat, kommt es zum Eklat. Die Tochter fordert von der Oma, diese müsse die Enkel dazu bringen, dass sie nicht ständig bei der Oma herumhängen, sondern der Mutter die Chance geben, Versäumtes nachzuholen und endlich richtig Mama zu sein! Die Oma versucht, das den Enkeln zu vermitteln, die Enkel sehen es nicht ein, die Oma versperrt ihre Türe, die Mutter zerrt weinende Enkel in den Bann ihrer Mutterliebe.

Die Eheleute sind seit acht Jahren zusammen. Sie kümmern sich beide um den inzwischen vierjährigen Sohn und sind stolz, dass sie sich die Familienarbeit gut teilen können und der Sohn genau so gerne vom Vater ins Bett gebracht wird wie von der Mutter. Jetzt hat der Sohn eine kleine Schwester bekommen. Die Mutter ist intensiv damit beschäftigt, das Baby zu stillen und zu versorgen. Der Vater will sie entlasten und sich jetzt hauptsächlich um den Sohn kümmern. Aber dieser will nur zur Mama, sie soll mit ihm spielen, nicht der Vater, der Vater ist langweilig. Nicht er soll ihn zu Bett bringen, sondern die Mama. „Kannst du nicht endlich dafür sorgen, er mich in Ruhe lässt“, sagt die Mutter irgendwann gereizt. „Zwei Babys sind mir echt zu viel!“

Ist es ein Zeichen von Liebe, grenzenlos zu geben und am Ende zusammenzubrechen? Nein, das ist eher ein Signal für ein grenzenloses Bedürfnis nach Anerkennung. Wer nur das weggibt, was er entbehren kann, ist ein verlässlicherer Helfer als der Pelikan, der sich in der Tierfabel in die Brust hackt, um den Durst seiner Kinder zu stillen. Manchmal wird eine Entwicklung erst dadurch möglich, dass solche Dienste energisch verweigert werden. Im Hotel Mama schwinden Initiative und Widerstandskraft; erst wenn es geschlossen ist, werden aus großen Kindern Erwachsene.

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