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Die Macht der Religion (Teil 2)

Das „Greenhorn“, das alle Westmänner übertrifft, plant den Bau einer Eisenbahn durch den wilden Westen und wird Blutsbruder der Indianer. „Dianetik“, wie Hubbard seine Lehre nennt, ehe er sie als „Scientology“ steuersparend zur Religionsgemeinschaft umgründet, ist nichts anderes als das Versprechen, mit Hilfe banaler Psychotechniken, die rhetorisch aufgebläht werden und ihre Quellen verleugnen – Hubbard hat alles selbst entdeckt! – einen neuen, intelligenteren, gesünderen, vollkommeneren, schließlich alle Grenzen sprengenden Menschen zu schaffen. Das ist ganz Karl Mays Tedendenz, der Lehrer seiner Leser zu sein und sie zu wahren Gläubigen zu machen. Wer viel Geld für Kurse ausgibt, dem wird versprochen, dass er irgendwann Kursleiter wird und einen Teil des eingesetzten Geldes zurückgewinnt. Daher kämpfen Scientologen um ihren und Hubbards Ruf mit der Energie, die jeder Mensch entwickelt, sobald man seinen Besitzstand beschneiden will. Aus den Berichten von Aussteigern (die natürlich kritisch beurteilt werden sollten) scheint mir das Versprechen der „Dianetik“ dem Aufbau einer funktionierenden manischen Abwehr nahezukommen. Auch das ist weder dämonisch noch orginell. Während einer Übernachtung in der Zelle eines katholischen Klosters anlässlich einer Tagung habe ich einen Wandspruch gesehen, der den Anspruch dieser Abwehr genau formuliert: „Gewinne allen Dingen ihre helle Seite ab, und wenn es keine helle Seite gibt, poliere die dunkle so lange, bis sie glänzt!“ Der moderne Volksmund spricht hier vom „positiven Denken“, die Scientologen von einem Zustand, den sie „clear“ nennen. Natürlich behauptet jeder, der seine spezifischer Form von Manie vermarkten will, so gut und wirkungsvoll wie er habe das noch keiner getan. Alles andere wäre ja auch nicht manisch und würde verraten, dass die Ärzte entweder ihre eigene Medizin nicht geschluckt haben oder diese nicht mächtig genug wirkt.ix Wenn dieser Prophet im Mittelalter gelebt hat, fällt uns das nicht weiter auf, weil wir gar nicht wissen, wie der kritische Bürger des Mittelalters gedacht hat und ob es ihn überhaupt gab. Wenn aber der Prophet in unserer Welt lebt, Schundromane für hohe Literatur ausgibt und uns in naivstem Stolz daran teilhaben lässt, dass er in einem Monat dreihundert Seiten Roman schreiben kann, wie sieht es dann aus? Wenn er erzählt, dass seine Reisen nicht Reisen sind, sondern zu den Quellen welterschütternder Ereignisse vordringen, wenn er Führungslehre, Erziehung, die Heilung von Geisteskrankheiten und von Drogenabhängigkeit neu entdeckt, was denken wir dann? Während in der Lebensgeschichte von Karl May eine „religiöse“ Selbstdeutung zwar immer erkennbar ist, seine Selbststilisierung als Prophet eines geheimen Glaubens aber erst den Kränkungen folgte, wissen wir nicht genau, warum sich Ron Hubbard vom Autor zum Propheten entwickelt hat. Ich vermute, dass es ein komplexes biographisches Geschehen war: Einerseits war ihm vermutlich klar geworden, dass er als Autor stets nur einer unter vielen Fantasy-Schreibern (und gewiss nicht der beste) geblieben wäre. Andrerseits hatte er durch das Schreiben einen Teil seiner frühen Selbstgefühlsprobleme überwunden und war nun seiner Sache sicher.

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