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Wenn du mir fremd bist, lieb ich dich

In der Therapie wird ihr bewusst, dass kein Partner den Reichtum an emotionalen Beziehungen ersetzen kann, der in ihrer Heimat selbstverständlich war, wo ihre Eltern mit vielen Onkels und Tanten in einem grossen Haus lebten. Das Fremde ist wie ein gemeinsames Kind Seit Liebesbeziehungen ein freier Handel zwischen zwei Individuen sind, müssen wir auch akzeptieren, dass alle Zusatzaufgaben die Brücke belasten, die während der Verliebtheit geschlagen wurde. Zu sehr belastet, kann sie sich im Alltag nicht festigen, sondern zerbricht. Das gemeinsame Kind beispielsweise hat traditionelle Ehen stabilisiert; moderne belastet es und ist inzwischen zum häufigsten Anlass für frühe Scheidungen geworden. Wenn wir uns vorstellen, dass ein von den emanzipierten Frauen seiner Heimat gekränkter Europäer glaubt, in Thailand eine bessere Partnerin zu finden, brauchen wir keine prophetischen Fähigkeiten, um diesem Paar harte Zeiten vorauszusagen, wenn sie diese zum Teil aus einer männlichen Illusion gebaute Brücke festigen sollen. Es wird stark von der Intelligenz und Realitätstüchtigkeit der Thailänderin abhängen, ob das gelingt. Die fremde Kultur ist eine gemeinsame Aufgabe für das Paar, reizvoll und schwierig zugleich, ähnlich wie auch ein gemeinsames Kind eine solche Aufgabe ist. In der Praxis gilt, dass die Verliebtheit zweier Menschen, die einigermassen mit Kränkungen umgehen können, die Last eines Dritten – etwa einer ungeplanten Schwangerschaft – gerade noch aushält. Wo die Liebe wacklig ist und die projizierte Sehnsucht nach einer besseren Heimat grenzenlos, wird nicht das Fremde die Beziehung überlasten und zerbrechen. Das tut dann die die Illusion, es sei gar nicht da, die Störung sei allein dem Versagen eines Mannes oder einer Frau zuzuschreiben, jene Liebe zu spenden, die ich selbst nicht geben kann.

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