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Wenn du mir fremd bist, lieb ich dich

Das von einem Mangel an Nestwärme enttäuschte deutsche Mädchen verliebt sich nicht nur in den jungen Kurden, der Asyl sucht und verspricht, sie auf Händen zu tragen, sondern vor allem in dessen Familienklima: diese selbstverständliche Wärme, die Zeit füreinander, die festen Rollen für Männer und Frauen, den Respekt für den Gast. So wird sie aus dem Gast in der fremden Familie zu einer jungen kurdischen Ehefrau. Diese Rolle erlebt sie nun nicht mehr als geborgen, sondern nur noch als eng. Sie fühlt sich wie eine Gefangene, eine Sklavin, die zum Sex bereit sein und ihr Geld bei der Schwiegermutter abliefern soll, während der Ehemann seine Abende mit seinen Freunden verbringt. In der Kränkung verwandelt sich die Sehnsuchtsorientalin wieder in eine Westeuropäerin. Sie sucht juristische Hilfe. Ein Anwalt rät, die Ehe anullieren zu lassen. Sie müsse aussagen, diese sei in betrügerischer Absicht geschlossen worden, um sich eine Aufenthaltserlaubnis zu erschleichen. So könne sie sich jeder Unterhaltsverpflichtung entziehen. Der junge Kurde, der glaubte, das grosse Los gezogen zu haben, findet sich in Abschiebehaft wieder. Mario ist ein Brasilianer, der seit seinem Studium in Deutschland lebt. Seine deutsche Mutter hat sich während seiner Schulzeit aus ihrer Ehe gelöst und ihn beim Vater in Brasilien gelassen. Als dieser sich weigert, dem Sohn ein Studium zu bezahlen, kommt Mario zur Mutter nach Deutschland. Im Studentenheim lernte er seine spätere Frau Ingrid kennen. Mario verliebte sich nicht in eine Frau, sondern in ein Elternhaus. Die Mutter seiner Verlobten schien ihren Mann anzubeten. Ingrids Mutter hatte keinen Führerschein, der Vater kutschierte, sie bedankte sich dann und fand ihn einen liebevollen Mann und grossartigen Autofahrer. Mario hatte unter seiner dominanten, den schwachen Vater entwertenden Mutter gelitten. Er fand Ingrids Eltern einen Trost, einen Halt, eine Perspektive: so sollte seine Ehe auch werden. Mario ahnte nicht, wie sehr diese Szenen Ingrid abstiessen, die schon mit siebzehn ihre ersten Fahrstunden genommen hatte und durch die Bevorzugung des Bruders und die in ihren Augen demonstrative Schwäche der Mutter chronisch gekränkt war. So wollte Ingrid einen Mann, der sie nicht einengte, sondern ihr eine neue Welt öffnete. Die Ehe geriet in eine Krise, als Ingrid immer vorwurfsvoller wurde, weil Mario Tag und Nacht arbeitete, um möglichst bald ein Haus kaufen zu können, das 4 ebenso schön war wie das seiner Schwiegereltern. Sie verweigerte sich sexuell, er fand trotz aller Plackerei die Zeit, die ein oder andere Geliebte zu erobern. Mario konnte sich Ingrids Enttäuschung nicht erklären, so wenig wie sie seinen Rückzug verstand. Nur die beiden Kinder hielten das Paar noch zusammen, als Ingrid und Mario in Therapie kamen. Die Schwiegereltern, die Mario anfangs so bewundert hatte, waren nach vier Ehejahren für ihn gestorben. Der Schwiegervater warf einmal angesichts einer Unpünktlichkeit des Paares hin, in Brasilien sei das vielleicht normal, in Deutschland aber nicht. Aber nicht Mario war für das Zuspätkommen verantwortlich, sondern Ingrid. Als Reaktion auf das deutsche Stereotyp des Brasilianers hatte sich Mario angewöhnt, pünktlich und genau zu sein; er zahlte jede Rechnung an dem Tag, an dem er sie erhielt.

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