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Die Illusionen über das Gegenüber und die virtuelle Welt

Das Oberlandesgericht Brandenburg gibt der Mutter Recht und einen zeitlichen Rahmen vor. Es droht mit einem Bußgeld von 25000 Euro, falls der widerspenstige Vater seinen Sohn nicht besucht. Den Sohn ist inzwischen fast zehn Jahre alt. Die Mutter hat ihn auf Kosten des Sozialamtes in einem Heim untergebracht, weil sie insolvent ist und sich keine Wohnung leisten kann, in der auch das Kind Platz hat. Anfang April 2008 hat nun das Bundesverfassungsgericht unterstrichen, dass Zwangskontakte dort, wo liebevolle Beziehungen nötig wären, schlechter sind als gar nichts. Das Recht des Kindes auf angemessene Pflege sei wichtiger als Rechthabereien der Eltern.

Warum aber ist es heute soviel schwieriger als früher, sich damit abzufinden, dass wir Gefühlsbeziehungen nicht erzwingen, nicht machen können wie einen Kuchen backen oder einen Strumpf stopfen? Es liegt wohl daran, dass wir in einer Welt leben, in der alles machbar scheint. Auf dem Bildschirm erzaubern wir den Dinosaurier wie den Kampfstern. Und da sollen wir die liebenden Partner, die verantwortungsbewußten Väter nicht schaffen können? Ein zweiter Hinweis auf das Umsichgreifen des Glaubens an die Machbarkeit von Beziehungen ist das Stalking. Seit einem Jahr gibt es ein „Gesetz zur Strafbarkeit beharrlicher Nachstellungen“, das den Opfern Schutz vor peinigenden Anrufen, Verfolgungen, Liebesschwüren und Drohungen bietet. Es wurde notwendig, weil inzwischen mehr als ein Zehntel der Bevölkerung (so eine Untersuchung am Zentralinstitut für psychische Gesundheit in Mannheim) einmal im Leben durch Stalking gequält wird. Auch der Stalker sucht eine Beziehung zu erzwingen. Die Mutter in Brandenburg hat die Gerichte eingesetzt, um den widerstrebenden Erzeuger ihres Kindes in die Vaterschaft zu pressen.

Angesichts von Stalking ist es umgekehrt: Die Polizei wird gerufen, um sich vor einem Liebes-Verfolger zu schützen. In der weit überwiegenden Mehrheit der Auffälligen handelt es sich um Männer, die denken, dass eine Frau es sich auf gar keinen Fall erlauben darf, ein erotisches Angebot zurückzunehmen. Manchmal hat sie es wirklich gemacht und sich auf eine Beziehung eingelassen. In anderen Fällen wurde sie nur missverstanden. Eine Sängerin von Liebesliedern wie Jeanette Biedermann sollte doch so singen, dass sich jeder Zuschauer ganz persönlich von ihr verführerisch angelächelt fühlt. Der Bildschirm bringt diese vermeintliche Intimität ins eigene Schlafzimmer; die DVD erlaubt, sie festzuhalten und abzuspielen, so oft der Verliebte mag. Wenig Wunder, dass er anfängt, wie es bei Jeanette Biedermann ein Autohändler tat, sie mit SMS und Mails zu bombardieren, in ihr Haus einbrechen, sich in ihr Bett legen und dort einen Rosenstrauss zurücklassen? Zum professionellen Verhalten einer Krankengymnastin gehört, Patienten freundlich zu begrüßen und sie nicht so anzufassen, als wären sie ein Stück Holz oder ein ekeliges Insekt. Eine solche Krankengymnastin hat diese Haltung mit fünf Jahren Nachstellungen durch einen einsamen 48jährigen bezahlt. Als er sich ihr trotz gerichtlichen Verbotes wieder näherte und sie die Polizei rief, stach er auf sie ein und verletzte sie schwer. Sie sei, erklärte er vor Gericht, eine exzellente Schauspielerin, habe ihm erst Avancen gemacht und ihn dann als Stalker diffamiert….

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