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Massenmord als narzisstische Geste des 21. Jahrhunderts

Eine wirksame Prophylaxe wird der Öffentlichkeit viel abverlangen – unter anderem den Verzicht auf eine Berichterstattung, welche die Täter glorifiziert

In dieser Zeit wurde auch „Mobbing“ in Schulklassen entdeckt, ein Begriff, den wir erst seit den neunziger Jahre auf Menschen anwenden. Vorher sprach man so nur von Vögeln, die ein hinkendes oder räudiges Tier aus ihrer Mitte weghacken. Das Gesicht der Depression unter jungen Menschen hat sich verändert. Es wirkt inzwischen fast absurd, wenn in den Lehrbüchern der klinischen Psychologie noch steht, die allein gegen das eigene Ich gerichtete Aggression sei die wichtigste Dynamik in diesem seelischen Leiden. Inzwischen ist auch der Neid auf das Glück und die Beliebtheit der anderen und den Depressiven verbreitet. „Der englische Garten ist voller glücklicher Paare. Nur ich bin unglücklich und allein“, sagte mir eine Patientin.
Ihr Leid nähert sich schon der Wut, dass die anderen, die glücklich sind, das nur deshalb sein können, weil sie dieses Glück weggenommen haben. Also ist es nur gerecht, wenn ich mich an ihnen räche. So gesehen hängen der heimliche Neid auf die Glücklichen und Beliebten eng mit dem von Terroristen laut geäußerten Wunsch zusammen, eine feiernde Welt, die sie und ihr Leid ignoriert, aus dieser Feierstimmung zu reißen, koste es, was es wolle.
Wer Krimis liest oder Kampfspiele am Computer klickt, weiss Bescheid über Colt, Smith & Wesson, Beretta, Glock oder Heckler & Koch. Wer sie in der Hand hält, ist Herr über Leben und Tod. Diese Verführung zu beherrschen, gelingt den meisten Männern und Frauen. Aber eben nicht allen. Mehr als an anderen Orten der Gesellschaft sind die jungen Massenmörder, die den Tod ebenso bereiten wie suchen, ein Zeichen für die Macht der Dinge über die Menschen. Sie sind ein Gespenst, welches die Eingeborenen einer Knopfdruck-Welt verfolgt, in der Bilder und nach den Bildern auch Menschen weggezappt werden.
Unsere Erfindungskraft hat Dinge gezeugt, welche seelische Reife blockieren und ganze Generationen verführbar machen für den schnellsten Weg aus allen Ängsten. Wer mit Hilfe von Dynamit der Eisenbahn den Weg frei sprengt und mit Hilfe von elektronischen Geräten Egoshooter-Spiele ins Kinderzimmer zaubert, denkt zuerst nicht an die Schattenseiten seiner Erfindungen. Aber inzwischen wird immer deutlicher, dass der Massenmord eine bedeutungsvolle Geste von Menschen ist, die keine andere Perspektive sehen als durch ihre Tat zu sagen: Eure Welt ist ohne Zukunft für mich, ich finde keinen Platz in ihr. Das macht mich so wütend, dass ich möglichst viele von euch töten will, ehe ich selbst draufgehe. In jeder suizidalen Phantasie Jugendlicher wird der Tod gleichzeitig gesucht und geleugnet: es geht auch darum, anderen etwas zu zeigen, zu beweisen – und Ruhm zu erwerben, Aufmerksamkeit zu haben, durch den eigenen Tod unsterblich zu sein.
Sprengstoffe und automatische Waffen machen soziale Disziplin rückgängig. Sie wecken die Illusion einer aggressiven Allmacht. Der Mensch ist so wenig wie zum klugen Konsum von Kokain oder Opium auf Möglichkeiten gerüstet, mit einem Druck auf einen Auslöser über Leben und Tod zu herrschen.
Es gibt keine einfache Kur dieser Seuche. Der Glaube an schnelle Lösungen ist ja gerade der Kern des Problems. Bessere Ausbildung, Schutz vor Verletzungen des Selbstgefühls von Kindern, Eröffnung wirtschaftlicher Perspektiven, alles hilft ein wenig, aber sicher nicht genug. Automatische Waffen und Sprengstoffe gehören allein in die Hand der Polizei. Alle Waffen müssten elektronisch so gesichert sein, dass sie sofort unbrauchbar werden, wenn sie jemand anderer als der rechtmäßige Nutzer in die Hand nimmt. Mordwaffen, die jeder „Sportschütze“ (wie Breivik in Norwegen oder die Schülermörder von Erfurt und Winnenden) kaufen und dann in seinem privaten Kalifat einsetzen kann, sind ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen mehr gibt, seit die große suizidale Geste in der Welt ist. Sie machen kein Land sicherer, im Gegenteil. Sicher macht es nur der radikale Verzicht auf die Werkzeuge für den Machtrausch, den der Massenmord auf Knopfdruck dem Täter verspricht.

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