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Dr. Schreck und Dr. Glück

Nach einer Woche seelischer Qual findet der nun konsultierte Dr. med. keinen Hinweis auf eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte mehr. Die Schwangere ist etwas getröstet, aber ein Rest von Verstörung bleibt und verschwindet erst, als sie ihr gesundes Kind in den Armen hält.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass manche Ärzte es nicht lassen können, ihre Macht zu missbrauchen. Sie machen sich wichtig auf Kosten Dritter, setzen ihre Patienten in Schrecken und binden sie auf ähnliche Weise an ihre Dienste wie Priester, welche den Gläubigen ihre Sündenseele und die darob drohende Strafe vor Augen führten, um ihnen dann einen Ablass oder ein Beichtsakrament zu verkaufen.

Wer solche Geschichten hört, gewinnt den Eindruck, dass viele Ärzte mehr an sich, an ihre Ängste und ihre Apparate denken als an die Menschen, welche sie behandeln. Die Angst des Arztes läuft darauf hinaus, dass er etwas übersehen hat, eine Diagnose zu spät stelle. Wenn er Diagnosen zu früh, zu schwer, zu schrecklich macht, hat der Arzt keine Angst. Nur der Patient.

Die Konsumgesellschaft geht mit Ängsten kaum weniger verlogen und verleugnend um als mit Sex und mit Geld. Solange Angst Anpassung erzwingt, ist sie gut und wird geweckt – von der ersten Schulstunde bis zum letzten Arbeitstag, vor Gericht, in den Kirchen, den medizinischen Klinken. Sobald Angst aber die Anpassung stört, Kinder nicht mehr in die Schule gehen mögen, Patienten Vorsorgeuntersuchungen meiden und Arbeitnehmer ausbrennen, soll sie bitte schön behandelt und möglichst schnell geheilt werden.

Die Lage ist deshalb so schwer zu verändern, weil Angst sehr schnell einsetzt, aber lange braucht, um zu vergehen, während Einsicht und Einfühlung lange brauchen, um sich zu entwickeln, aber unter dem Druck von Gier oder Wut verschwinden wie weggeblasen. Dr. med zu bleiben, erfordert Geduld und Wachsamkeit; was den Show-Effekt angeht, sind Dr. Schreck und Dr. Glück allemal überlegen.

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