Aufsaetze

Einbrüche

Er nahm eine kurze Leiter mit, wie man sie auch zum Beschneiden der Reben an den Ahornstämmen braucht, deren Holme nach oben zusammenlaufen und so ein sehr spitzes Dreieck bilden. Er kletterte wie eine Katze durch das Oberlicht und öffnete von innen. „Die Fenster habe ich weggestellt, damit sie nicht verfaulen“, sagte er noch. Der Blick auf die Ebene bis zu den 40 km entfernten Bergen von Pistoja bezauberte uns.

Als wir dann das Haus in Besitz nahmen und alle zerbrochenen Scheiben in der Ferramenta geholt und ersetzt hatten, stand uns die erste Trennung bevor – im November 1966. Wir fürchteten Einbrecher und Lausbuben, welche die Scheiben verlassener Häuser einwerfen, weil das so schön klirrt. So baute ich Fensterläden aus Brettern, die ich überall vorblendete. Von der Talseite waren nur die Ställe zugänglich.

An der Bergseite ist das Haus einstöckig; man tritt direkt in die Wohnküche. Die drei Fenster zur Eingangsseite hin sind durch solide Gitter geschützt; das Oberlicht aber hatte bereits gezeigt, wie leicht es sich als Zugang nutzten liess. So improvisierte ich eine Sperre, einen Mittelpfeiler aus Ziegeln, die ich sorgfältig aufeinander türmte und verkeilte. Da konnte niemand mehr durch!
44 Jahre später habe ich jetzt mit Hammer und Meissel und – sehr viel wirksamer – einem zwei Meter langen, gut armdicken Rundholz aus einem Ahornstamm als Ramme diese Einbruchssicherung demontiert. Jetzt ist der Zustand wieder hergestellt, den wir angesichts der Kletterkünste des Hirten für einen unsicheren hielten. Unter dem offenen Oberlicht die bestens gesicherte Gittertür – so hoffe ich, die Einbrecher abzuschrecken und ihnen doch einen Zugang zu gewähren, der ihnen weniger Mühe macht und mir die teuere Reparatur durch den Schmied von Vicchio erspart.

Seit die Einbrecher auch gebrauchte Gasherde und einst vom Sperrmüll gesammelte Holzöfen abtransportieren – von einem Haus, das sie nach aller Spurensuche nicht mit einem Jeep erreicht haben – wird etwas Unheimliches fassbar. Es ist wie in einem Entwicklungsland, wo sich die Ärmsten gegenseitig bestehlen; es gibt reisende Diebe, die eine Art nicht erklärten Krieg gegen alle führen, die etwas haben, das sich zu Geld machen lässt. Die ersten Einbrecher haben sozusagen nur den Rahm abgeschöpft und den Rest nicht angetastet; die neue Sorte von Dieben nimmt buchstäblich alles bis zum Bodensatz.

1964 hat mir meine Verlobte, die damals schon lange in Florenz gelebt hatte, den Unterschied zwischen Italienern und Deutschen erklärt: „Als Kind radelte ich in München eine Einbahnstrasse in der falschen Richtung. Da hat mich ein Polizist gesehen und in eine Trillerpfeife geblasen. Ich wollte nur schnell weg. Aber ein Passant hat mich am Gepäckträger festgehalten. Das würde in Italien nie passieren!“

Was Italien so liebenswert macht, der Mangel an Blockwart-Denken und verinnerlichter Unterstützung der Staatsmacht, führt auch dazu, dass Diebe tun können was sie wollen. Niemand kümmert sich um sie, niemand will Ärger, niemand ruft bei der Polizei an, wenn er etwas sieht. Die Carabinieri gehen in ihren schönen Uniformen lieber einen Espresso trinken, als Streife auf holprigen Wegen zu fahren.
Alle Einbruchsopfer, mit denen ich ins Gespräch komme, bestätigen meine eigene Erfahrung: verletzender als der materielle Verlust ist das Gefühl, eine persönliche Schutzschicht sei durchdrungen worden. Es ist die Grenzüberschreitung, die darin sich äußernde Respektlosigkeit, die zum Symbol wird für weiteres, sozusagen tieferes, noch feindlicheres Eindringen. Es ist als könnte jederzeit eine neue Grenzverletzung stattfinden, als sei gar nichts mehr sicher, würde sich der Raub sofort wiederholen. Ich sehe die neue Tür, die der Schmied eingesetzt und sehr viel besser verankert hat, schon wieder aus dem Rahmen gerissen, sehe die Scheiben eingeworfen, das Haus nicht nur geplündert, sondern verwüstet, überlege, es zu verkaufen, es aufzugeben, sollen sich andere darüber Sorgen machen.
Augenblicke der Schwäche, sage ich mir dann. Man darf nicht aufgeben.