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Der Stoff aus dem Propheten sind

Der moderne Volksmund spricht hier vom „positiven Denken“, die Scientologen von einem Zustand, den sie „clear“ nennen. Natürlich behauptet jeder, der seine spezifischer Form von Manie vermarkten will, so gut und wirkungsvoll wie er habe das noch keiner getan. Alles andere wäre ja auch nicht manisch und würde verraten, dass die Ärzte entweder ihre eigene Medizin nicht geschluckt haben oder diese nicht mächtig genug wirkt.
Die Lektüre der Hubbard-Biographie ist ein anschauliches Dokument dafür, wie ein Prophet jeden Zweifel in sich selbst zum Schweigen bringt. Wenn dieser Prophet im Mittelalter gelebt hat, fällt uns das nicht weiter auf, weil wir gar nicht wissen, wie der kritische Bürger des Mittelalters gedacht hat und ob es ihn überhaupt gab. Wenn aber der Prophet in unserer Welt lebt, Schundromane für hohe Literatur ausgibt und uns in naivstem Stolz daran teilhaben lässt, dass er in einem Monat dreihundert Seiten Roman schreiben kann, wie sieht es dann aus? Wenn er erzählt, dass seine Reisen nicht Reisen sind, sondern zu den Quellen welterschütternder Ereignisse vordringen, wenn er Führungslehre, Erziehung, die Heilung von Geisteskrankheiten und von Drogenabhängigkeit neu entdeckt, was denken wir dann?
Zum faktischen Genie gehört der Zweifel. Freud, der wahrscheinlich ein Genie war, hat ausdrücklich verneint, eines zu sein; Goethe, Leonardo oder Michelangelo waren schöpferische, aber stets von Zweifeln und einem Gefühl des Ungenügens, des Scheiterns belastete Personen.
Hubbard hingegen gelingt es, die banalste Aktivität noch als Geniestreich darzustellen – seine Fotos sind die schönsten, keiner kann wie er eine Schiffsmannschaft führen. Er hat die Seelenwanderung bewiesen, er kann die menschliche Intelligenz steigern, was auch heißt, dass er sich selbst die höchste zuschreibt.
Was von den Wundermitteln der Scientologen gegen Geisteskrankheit und Drogensucht verraten wird, ist höchst banal an der veröffentlichten Oberfläche und wird, soweit ich es beurteilen kann, in der Tiefe keineswegs besser, nur teurer.
Während in der Lebensgeschichte von Karl May eine „religiöse“ Selbstdeutung zwar immer erkennbar ist, seine Selbststilisierung als Prophet eines geheimen Glaubens aber erst den Kränkungen folgte, wissen wir nicht genau, warum sich Ron Hubbard vom Autor zum Propheten entwickelt hat. Ich vermute, dass es ein komplexes biographisches Geschehen war: Einerseits war ihm vermutlich klar geworden, dass er als Autor stets nur einer unter vielen Fantasy-Schreibern (und gewiss nicht der beste) geblieben wäre. Andrerseits hatte er durch das Schreiben einen Teil seiner frühen Selbstgefühlsprobleme überwunden und war nun seiner Sache sicher. Zum Dritten war er als Redner und Organisator, als charismatischer Therapeut so erfolgreich, dass er diese Form der Wirkung auf ein Publikum bald mehr schätzte als die einsame Arbeit des Autors, der sich selbst in einer Papierwelt einsperren muss. Schließlich entwickelte die Gruppe der „Scientologen“, die um ihn herum entstand, eine Eigendynamik.