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Da muss man durchgreifen!

Durchgreifen ist die pädagogische Verblendung schlechthin, denke ich. Es ist ein Signal, dass das Wesentliche längst verloren ist und nun nicht einmal auf Anstrengungen verzichtet werden kann, die alles noch schlimmer machen. Durchgreifen heißt zu leugnen, dass ich den Kontakt zur Realität längst verloren habe. Diese Einsicht wird abgewehrt, indem ich behaupte, ich wüsste besser, was hinter der Oberfläche verborgen ist.

Meine Illusion ist es, die ich für Realität halte und von der ich glaube, dass sie auf ausgerechnet meinen Griff wartet, damit ich – oh wunder – endlich das heraushole, was ich von Anfang an erwartet habe. Wenn ich verständig wäre, würde ich meine Erwartung korrigieren. Da ich dazu nicht in der Lage bin, setze ich darauf, in meinem Durchgriff doch noch herauszuholen, was in meiner Einbildung Sache ist.
Gute Beziehungen schonen die Oberfläche des Gegenübers. Sie respektieren seine Würde, die ja stets an den Anschein gebunden ist, den sich jemand gibt, an die Wirkung, die er ausüben möchte. Das gilt schon für kleine Kinder: Wir können ihnen niemals alle Wünsche erfüllen, das wäre oft auch gar nicht gut für sie. Aber wir sollten ihre Wünsche respektieren.

Noch viel wichtiger ist diese Absage an das Durchgreifen in Liebesbeziehungen. Wenn jemand seinen Partner schlecht behandelt und behauptet, er tue das doch nur, um ihm endlich beizubringen, wie sich eine liebende Frau oder ein liebender Mann gefälligst zu verhalten haben, entsteht auch dort das typische Durchgreif-Szenario. Wie die Schatzgräber wühlen sich Durchgreifer und Durchgreiferinnen in das Selbstgefühl ihrer Partner. Was auf dem Weg zerstört wird, ist ihnen egal. Der angerichtete seelische Schaden ist durch das große Ziel gerechtfertigt, in sein Innerstes zu greifen und herauszuholen, was zum eigenen Bild der „richtigen“ Liebesbeziehung passt.

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